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Gewunscht: ein Sieg der Phantasie

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„Das Gleichgewicht der Inipotenz ist uns erhalten geblieben“, kommentierte resigniert der sozialdemokratische Spitzenpolitiker Flavio Orlandi das Ergebnis der italienischen Wahlen. Tatsächlich sind die Chancen für die Bildung einer starken Regierung, die Italien aus der Krise führen könnte, nach diesem Urnengang gleich null.

Daß die Democrazia Cristiana so gut abgeschnitten hat (faktisch ist sie wie bei allen Wahlgängen seit 1953 knapp an der 40-Prazent-Marke geblieben), überrascht nur auf dem Hintergrund der düsteren Vision in den internationalen Medien. Eben diese düsteren Visionen hatte DC-Parteichef Amintore Fanfani, auch im italienischen Wahlkampf sehr gezielt eingesetzt. Aber in Rom rechnete man bereits in der Endphase des Wablkaimpfs wieder mit einer DC-Mehrheit.

Linke Politiker hatten schon vor zwei Wochen die Vermutung geäußert, Fanfani und Ministerpräsident Moro kalkulierten wieder mit einer relativen Mehrheit der DC, seien sich aber im klaren darüber, daß dies. „Unregierbarkeit des Landes“ bedeuten würde und pellten daher einen neuerlichen Wahlgang im kommenden Jahr an, um die absolute Mehrheit zu erlangen.

Vom „Risiko der Unregierbarkeit“ hall dann DC-Parteisekretär Zaccagnini tatsächlich in der Nacht aum Dienstag gesprochen. Denn die traditionellen Regierungspartner der DC sind starte angeschlagen aus den Wahlen hervorgegangen. Die „Parteien der laizistischen Demokratie“, wie sie sich selber nennen, die Sozialdemokraten, Liberalen, Republikaner mußten Stimmen an die Christdemokraten abgeben. Auch die Sozialisten haben den erhofften großen Sprung nach vorn, der sie die ewige Zehn-Proeent-Martea überwinden lassen sollte, nicht geschafft. Die ge-fürchtete Polarisierung der italienischen Wählerschaft ist durch die Wahlen vom 20. und 21. Juni tatsächlich eingetreten. Denn die KP hat zwar keinen Erdrutschsiaa errungen, aber ein volles Drittel der Wähler hat sich für die Partei Ber-linguers entschieden. Der Manövrierraum der „kleinen Parteien“ zwischen den 40 Prozent starken Demo-cristiani und den nur um fünf Prozent schwächeren Kommunisten! ist damit wesentlich kleiner geworden (die neofaschistische Sozialbewegung mit ihren sechs Prozent zählt nicht, weil sie von allen Parteien in ooliti-scher Quarantäne gehalten wird).

Nur mit „ein wenig Phantasie“ werde sich eine Mehrheit finden 'lassen, meinte DC-Sekretär Zaccagnini in seinem ersten Kommentar zur Wahl; angesichts der neuen Stärkeverhältnisse im italienischen Parlament wird dazu schon ein Feuerwerk der Phantasie notwendig sein. Wenn der sozialistische Parteisekretär de Martino seine Feststellung in der Nacht zum Dienstag: „Wir bleiben unseren Ankündigungen treu und gehen in keine Regierung, die nach links (sprich: zu den Kommunisten hin) verschlossen ist“ ernst gemeint hat, ist keine Lösung möglich. Es sei denn, die Democrazia Cristiana ist in der einen oder anderen Form doch zur Zusammenarbeit mit der KPI bereit. Nach einem scharf antikommunistisch geführten Wahlkampf wird sie sich das aber realistischerweise nicht leisten können.

Def Wahlkommentar Giorgio Ailmirantes, des Parteisekretärs der Neofaschisten — „die DC wird jetzt mit den Kommunisten entweder die Begegnung oder den Ausgleich, auf keinen Fall den Zusammenstoß suchen“ — dürfte mehr von dem Wunsch diktiert gewesen, sein, die eigene Gruppe wieder einmal als garantiert echt antikommunistisch zu verkaufen. Zwar hatte einer der „großen Chefs“ der DC, Guilio Andreotti, in seiner letzten Wahlrede davon gesprochen, man sollte die KP nicht in die Regierung aufnehmen, aber mit ihr im Parlament über einzelne Gesetzesvorhaben Einmütigkeit erzielen — doch dies dürfte heute Berliniguer zu wenig sein.

Zwar hat das Wahlergebnis der KP ohne Zweifel einen Dämpfer versetzt. Trotz des Zuwachses an kommunistischen Stimmen im Vengleich zu den Regionalwahlen vom 15. Juni 1975 mit ihrem Erdrutschergebnis muß sich Berliniguer heute darüber im klaren sein, daß er mili einem Drittelanteil am Kuchen des Wählervertrauens den Plafond erreicht hat. Angesichts der Reduzierung der kleineren Parteien wird Bertinguer sein Lieheswerben um die Democrazia Cristiana in Form des Angebotes eines „historischen Kompromisses“ verstärkt fortsetzen. Eine von Amintore Fanifarai beherrschte DC, der sich durch das Wahlergebnis in seiner Linie der harten Abgrenzung bestätigt fühlen muß, kann aber dieses Liebeswerben nur zurückweisen. Womit sich das Karussell von neuem zu drehen beginnt.

In Washington, in* Brüssel, vielleicht auch in Moskau mögen nach dem Ergebnis der Wahlen vom Sonntag und Montag die Politiker erleichtert aufatmen. Vorläufig gibt es keine Komplikationen mit einer durakelroten Mehrheit in einem NATO- und EG-Land. Aber die Krise Italiens ist durch dieses Wahlergebnis nur prolongiert worden. Die Probleme bleiben: Die Kapitalflucht und die Inivesti'tionsunwäligkeit der Unternehmer ebenso wie das ^krankfeiern“ der Arbeitnehmer, die Streiks zur Durchsetzung von 16 Monatsgehältern (wie sie von den „autonomen“ Gewerkschaften angezettelt werden, die von den großen Gewerkschaftszentralen unabhängig sind) ebenso wie die Steuerhinterziehung und dag krebsartige Wuchern der staatlichen und halbstaatlichen Bürokratie.

Es bleiben die Probleme der politischen Kriminalität und der undurchsichtigen Machenschaften verschiedener Geheimdienste. Es bleiben jene Fe'hlentwicklungen der modernen Industriegesellschaft, die andere Länder mit der Klarheit eines Laboratoriumsexperiments zeigen. Für diese Probleme ist das „Gleichgewicht der Impotenz“ keine Lösung. Gerade, weil der „Fall Italien“ vieles nur deutlicher vorexerziert, was auch anderswo Gültigkeit hat, ist das erleichterte Aufatmen nach dem Waihlgang auf der Apeninnenhalbinsel zu wenig.

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