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Gibt es einen Blick hinter den Vorhang des Todes?

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In jüngster Zeit kann man nicht nur in der USA, sondern auch in Europa ein neuerwachendes Interesse am Tod des Menschen feststellen. Die Zeit der Verdrängung des Todes, die übelste Form menschlichen Umgangs mit dem eigenen Tod - um ein Wort Carl Friedrich v. Weizsäckers zu gebrauchen - scheint zu Ende zu gehen. Vielleicht gerade deshalb, weil wirklich keine Menschheit jedem Tode gegenüber so ratlos war wie die heutige. Geweckt wurde dieses Interesse durch die „Thanatologie“, die Sterbe- und Todesforschung. In Amerika stellten sich junge Ärzte und Psychiater, darunter auch eine inzwischen berühmt gewordene Frau, spontan die Fragen: Sterben, was ist das? Was geschieht mit uns im Tod? Was geschieht mit unserem Leben, mit unserem Ich, mit unserem Bewußtsein, wenn wir gestorben sind? Ist es dann aus mit uns und kommt dann die große Nacht, der ewige Schlaf, das Nichts? Sind wir dann für immer ausgelöscht oder kommt dann erst das eigentliche, das wahre Leben, das was Christen mit einem so abgegriffenen und doch nicht ersetzbaren Wort als die „ewige Seligkeit“ bezeichnen?

Zwei der bekanntesten Thanatolo-gen unserer Zeit sind Dr. Elisabeth Kuebler-Ross und Dr. Raymond Moo-dy. Moody ist Psychiater an der Universitätsklinik von Virginia. Im Verlaufe einer fünfjährigen Untersuchung gelang es ihm, rund 150 Menschen ausfindig zu machen, die klinisch tot gewesen waren, dann aber doch weiter gelebt haben und so von ihrer Erfahrung Jenseits der Grenze“ berichten konnten. Die Berichte dieser „schon einmal tot Gewesenen“ sind bis in die Einzelheiten hinein von einer geradezu frappanten Ähnlichkeit. Moody sah sich so in der Lage, aus seinem Forschungsmaterial diejenigen Elemente herauszudestillieren, in denen die individuellen Berichte übereinstimmten.

In seinem Buch „Life after life“, ungenau als „Leben nach dem Tode“ übersetzt, faßt er seine Beobachtungen an den reanimierten, klinisch Toten zusammen: Ein Mensch liegt im Sterben. Während seine körperliche Bedrängnis sich ihrem Höhepunkt nähert, hört er, wie der Arzt ihn für tot erklärt. Mit einem Mal nimmt er ein Geräusch war, Läuten oder Brummen, und hat zugleich das Gefühl, daß er sich durch einen langen dunklen Tunnel bewegt. Danach befindet er sich plötzlich außerhalb seines Körpers, jedoch in derselben Umgebung wie zuvor; als ob er ein Beobachter wäre, blickt er nun aus einiger Entfernung auf seinen eigenen Körper. Dann schaut er die Geistwesen bereits verstorbener Verwandter und Freunde und ein Liebe und Wärme ausstrahlendes Wesen, ein Lichtwesen erscheint vor ihm. Dieses Wesen richtet, ohne Worte zu gebrauchen, eine Frage an ihn, die ihn dazu bewegen soll, sein Leben als Ganzes zu bewerten. Der Sterbende sieht dann ein Panorama der wichtigsten Stationen seines Lebens. Im Blick schneller Rückschau hat er ein überwältigendes Gefühl der Freude, der Liebe und des Friedens, weiß dann, daß er „zurückkehren muß“. Er vereinigt sich, ohne zu wissen wie, wieder mit seinem physischen Körper und lebt weiter. \

Auch Elisabeth Kuebler-Ross berichtet denselben Verlauf, der auch schon früher als „out of the body expe-rience“ geschildert wurde. Während Elisabeth Kuebler-Ross in diesen Beobachtungen eine Bestätigung sieht, daß es ein Leben nach dem Tode gibt, ist Moody zurückhaltender und vermeidet den Anspruch auf einen Beweis, wobei er seinen Verzicht mit der Begrenztheit der zur Zeit anerkannten wissenschaftlichen und logischen Methoden rechtfertigt.

Elisabeth Kuebler-Ross schreibt: „Ich habe gut zwanzig Jahre lang mit totkranken Patienten gearbeitet, und dabei sind die Einblicke in das Phänomen Tod für mich immer wichtiger geworden. Forschungsarbeiten, wie die von Dr. Moody, und meine eigenen werden vielen Menschen Aufklärung bringen und das bestätigen, was uns seit zwei Jahrtausenden gesagt wird: daß es ein Leben nach dem Tode gibt Unsere Befunde zeigen, daß der sterbende Patient sein Bewußtsein behält und seine Umgebung wahrnimmt, auch nachdem er klinisch für tot erklärt worden ist.“

Was. bedeutet nun „klinisch tot“ für die heutige Medizin'? Für sehr Viele 'ÄrS-Üe1 ist'l's M'Mktro'niäef ^griFf, der das Erlöschen aller zur Lebenserhaltung notwendigen Funktionen in einem Organismus bedeutet. Sie können jedoch, wenn rechtzeitige Hüfe vorhanden ist, innerhalb bestimmter Zeitspannen wieder in ihre ursprünglichen Tätigkeiten zurückgebracht werden. Der klinisch Tote ist demnach nicht tot im Sinne der bisherigen Definition, er ist ein Sterbender, für den noch Hilfe nach den modernen Gesichtspunkten der Medizin möglich ist. Wenn aber diese „Wiederbelebungsphase“ versäumt wurde, dann ist auch die empfindlichste Instanz des Organismus nicht mehr reanimationsfähig. Die moderne Medizin spricht in diesem Zusammenhang vom Begriff des „transitorischen Zustandes“. Wir haben ja keine einzige Aussage eines Toten, sondern nur Aussagen von Sterbenden, von Menschen, die den ersten Schritt in die Richtung des Todes getan haben, aber noch nicht endgültig gestorben sind.

Ohne die Berichte, die Moody und Kuebler-Ross auf Grund ihrer Forschungsarbeiten publizierten, anzuzweifeln, kann man sich doch nicht der Frage erwehren, wie diese subjektiven Berichte bei den Sterbenden zustandegekommen sind. Hier meinen kritische Mediziner, daß der Ausschluß von halluzinatorischen Erlebnissen nicht aufrechterhalten werden kann. Es ist vielmehr gesichert, daß Sterbende im Zustand der Agonie durchaus in der Lage sind, obwohl es Ärzte zunächst nicht wahrnehmen, ihre Umgebung wahrzunehmen. Denn das Hör- und Sehvermögen ist in diesem transitorischen Zustand nicht nur erhalten, sondern sogar vielleicht besonders empfindlich.

Univ.-Prof. Volkmar Feurstein, Leiter der Salzburger Landeskrankenanstalten, hält es durchaus für möglich, daß auch bei einer darniederliegenden oder erloschenen Kreislauffunktion dennoch gewisse zentrale Bereiche von einer minimalen Durchströmung gesichert sind und daß es auf diesem Weg zur Möglichkeit der Wahrnehmung kommt. Für die Erlebnisbreite des “Sterbenden sind wohl gewisse Stoitwe8RreIverSfiagr\irigen inf':Be-reich des zentralen Nervensystems verantwortlich zu machen. So sind nicht wenige Ärzte der Meinung, daß man diese Berichte auf der naturwissenschaftlich-biologischen Ebene erklären kann.

Die Erfahrung, die wir aus diesen Berichten mitnehmen können, ist sicherlich die, daß wir einen kleinen Schritt in die Richtung des ganzen Problems des Sterbens getan haben, daß wir aber noch keineswegs bis zur Grenze oder bis zu der Schwelle gekommen sind, in der das biologische Leben wirklich das Ende gefunden hat und das andere, das jenseitige, das „ewige Leben“ begonnen hat. Diese Grenze - um noch einmal Professor Feurstein zu zitieren - ist uns nach wie vor verschlossen und wird uns auch in Zukunft verschlossen bleiben.

Eine besondere Gefahr sehen manche Theologen in der Tendenz, Ergebnisse einer „Thanatologie“ als Extremausdruck eines nun auch den Tod einschließenden Erlebniskonsums zu vermarkten.

Elisabeth Kuebler-Ross und Moody wollen letztlich auch, daß wir aus den Erfahrungen derer, die das Verglimmen ihres Lebens als beglückendes Licht und als Aufgefangensein erlebten und mit medizinischer Hilfe zurückgerufen wurden, für unsere eigene Lebensführung lernen sollten. Aber sind diese Erlebnisse und Eindrücke so, daß sie uns zu einer neuen Lebensverantwortung befähigen können? Handelt es sich doch bei jenen von der Thanatologie erschlossenen und systematisierten Letzterfahrungen um Erfahrungen, die unter der Sondersituation des physiologischen Erlöschens gemacht wurden. Gewiß lebt diese letzte Reproduktion aus dem Kontext der von den betreffenden Individuen akzeptierten religiösen Traditionen, aber unsere Not ist ja, daß wir noch nicht so weit sind, daß wir noch sterben müssen, daß wir noch Angst vor dem Tod haben. Gewiß stellte die bisherige Arbeit von Kuebler-Ross und Moody an Sterbenden einen therapeutischen Durchbruch dar.

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