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Gibt es sie noch, die katholische Jugend?

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Man kann diese Frage oft hören, je nach der Einstellung des Fragenden (oder der Größe des Vorurteils?), mit sarkastischem oder bedauerndem Unterton. Vielleicht machen sich jene, die so fragen, zu wenig Mühe, dorthin zu gehen, wo sich heute katholische Jugend trifft und einsetzt.

Ich denke an die 600 Jugendlichen, die kürzlich - zu Fuß aus drei umliegenden Dekanaten kommend - eine niederösterreichische Wallfahrtskirche bis an die Stufen des Altares füllten. Ich denke an die jungen Männer und Frauen, die für einige Jahre freiwillig in Neu-Guinea, Brasilien arbeiten, um die Menschen dort ein Stück Weges in eine bessere Zukunft zu begleiten. Ich denke an jene vielen, die die Vorschläge aus dem „Zweiten Brief an das Volk Gottes” vom Konzil der Jugend in Taizė zu verwirklichen versuchen - allein in Wien soll es 80 solcher „Orte der Hoffnung” (= Gruppen und Familien) geben. Oder an die Gruppen, die sich wöchentlich zu Meditation und gemeinsamem Gebet treffen.

Ich denke an die etwa 800 Aktivisten der KAJ, die vor Sommerbeginn įn Leoben mit ernsten Überlegungen und mit dem Jugendbischof um den Altar geschart das Arbeitsjahr feierten. Ich kenne einige von vielen, die freiwillig und regelmäßig einen Teil ihres Einkommens zur Unterstützung der Dritten Welt geben, und ich weiß von Jugendlichen aus einer Pfarre - einer aus ihrem Ort wurde zum Mörder daß sie die meisten Weihnachtspäckchen an unbekannte Strafgefangene in einer österreichischen Strafanstalt sandten. Die Reihe ließe sich noch lang fortsetzen.

Was soll dieser „Gegenbeweis”? Zunächst einmal nur eine Aufforderung: sich auf die Suche zu machen, bevor man über das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von etwas urteilt; bereit sein, sich einzulassen auf Gespräche und Kontakte. Nur weil es in der eigenen Pfarre „keine Jugend” gibt, muß sie deswegen noch nicht ganz abgekommen sein. Wer auf die Suche geht, wird ein sehr differenziertes Situationsbild der Jugend in der Kirche von heute entdecken: Einzelne und Gruppen, die stark gesellschaftlich engagiert sind, ebenso wie solche, die sich von vielem in dieser Welt bewußt distanzieren, ihr Leben nach Werten und Maßstäben ausrichten, die den heute allgemein gängigen entgegengesetzt sind.

Viele betrachten diese mangelnde Einheitlichkeit sorgenvoll. Die einen vermissen Frömmigkeit, die anderen Engagement. Da und dort sicher mit Recht, aber hat sich nicht auch zu anderen Zeiten und in anderen Formen Vielfalt in der Kirche manifestiert, ohne diese zu zersplittern? Suchen nicht viele von uns Erwachsenen in den heutigen Formen der katholischen Jugend vor allem das, was uns selbst vor 20 oder 30 Jahren bewegte?

Das Traurigste dabei ist, daß sich in der Folge Teile der Jugend nicht mehr mit der Kirche und Teile der Kirche nicht mehr mit der Jugend indentifi- zieren wollten und wollen. Etwas davon wird spürbar bis hinein in die Sprache des kürzlich überreichten Berichtes der österreichischen Bischöfe an den Papst.

Ich meine, daß wir uns nicht genug den Kopf darüber zerbrechen können, wie wir eine „Kirche für die Jugend” sein könnten, eine, in der sie gern zu Hause ist, atmen und sich frei bewegen darf, Partner mit Aufgaben und Anspruch auf Hilfe sein kann. Brücke zwischen Jugend und Erwachsenen waren immer schon die Jugendseel-, sorger. Weil ihre Zahl kleiner geworden ist und weil wir - so oder so - alle Kirche realisieren, müssen wir uns an ihre Seite stellen. Erst dann sollten wir uns Fragen und Urteile erlauben.

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