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Gießkanne statt Reformen?

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Als Oppositionsführer und später als Bundeskanzler versprach Bruno Kreisky Reformen, Reformen und wieder Reformen. Nach einer Regierungszeit von mehr als vier Jahren steht fest: die Reformpolitik ist in den Ansätzen vielfach steckengeblieben und am Ärger der Bürger (Bundesheer-, Strafrechts- und ORF-Reform) sowie nicht zuletzt an den Finanzen gescheitert (die Spitalssanierung blieb aus, seit etwa zwei Jahren stockt der Bau von Wohnungen und Bildungseinrichtungen, die Städte in Österreich sind noch unwirtlicher geworden, der Umweltschutz wird als politische Aufgabe von den Mitgliedern des Kabinetts Kreisky kaum noch erwähnt).

Natürlich hat auch die Bundesregierung ihr VoWzugsdefizit bei den Reformversprechen erkannt. Als sie sah, daß ihre Agrarpolitik auf Widerstand bei den Betroffenen geriet, griff Landwirtschaftsminister Weihs zur Gießkanne und versprengte jährlich über 140.000 Bergbauern je 300 Schilling. Als die Regierung erkennen mußte, daß 300 Schilling pro Betrieb und Jahr noch lange keine wirksame Regionalpolitik ausmachen, schraubte Minister Weihs eine neue Rose auf die Gießkanne und goß fortan an 18.000 Bergbauern jährlich 2000 Schilling aus. Die Augenblicks-Freude bei den Begünstigten mag groß sein, auf Sicht wird die Lage der Bergbauern dadurch um kein Jota besser.

Mit besonderer Intensität aber wendet die Bundesregierung das Gießkannen-Prinzip in der Familienpolitik an. Als Finanzierungsborn bot sich dafür der Familien-lastenausgleichsfonds an, dessen Mittel zwischen 1970 und 1973 von 7,1 auf rund 11,5 Milliarden Schilling angewachsen sind. Dieser Famülen-lastenausgleichsfonds wird gespeist aus den Dienstgeberbeiträgen (sieben Prozent der Lohnsumme), Beiträge vom Einkommen, Beiträge der Land-Wirtschaft und Kopfbeiträge der Bundesländer. Zum Zweck des gesellschaftlichen Ausgleichs der Familienlasten werden aus dem Familien-lastenausgleichsfonds die Geburtenbeihilfe, die Säuglingsbeihilfe, die Kinder- und Familienbeihilfe und

auch die Mütterbeihilfe finanziert. Seit 1972 werden aus dem Familienlastenausgleich zusätzlich Mittel für freie Schulfahrten (rund 900 Millionen Schilling) und für freie Schulbücher (rund 800 Millionen Schilling) finanziert. Darüber hinaus spendiert der Bund Frischvermählten eine „Heiratsbeihilfe“ von 15.000 Schilling, die das Budget mit jährlich etwa 700 Millionen Schilling belasten, und nun soll aus dem Famüienlastenaus-gleichsfonds ein Betrag von 16.000 Schilling pro Geburt an die Eltern ausbezahlt werden: je zur Hälfte prompt und am ersten Geburtstag. Für die in diesem Jahr Neugeborenen werden erst 4000 Schilling und am ersten Geburtstag weitere 8000 Schilling ausbezahlt. Die jährlichen Gesamtkosten dieser Maßnahme werden bei rund 1,7 Milliarden Schilling liegen.

Zweifellos werden sich die begünstigten jungen Eltern über das unverhoffte Staats-„Präsent“ freuen. In der Regel werden sie auch klare Vorstellungen über die Verwendung dieses Betrages haben: eine große Rate für die neue Wohnung oder die Möbel, ein neues Auto oder eine längere Urlaubsreise. Am wenigsten aber wird das begünstigte Baby gefördert. In den ersten sechs Lebensjahren eines Kindes sind die Ausgaben eher gering, sie steigen sprunghaft mit dem Schuleintritt, in der stärksten Wachstumsphase zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr und mit Eintritt in die Berufsoder Schulausbildung ab dem 14. Lebensjahr. Dann aber sind die 16.000 Schilling längst verbraucht.

So gesehen, ist die Geburtenbeihilfe eine Maßnahme zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Eltern, keineswegs aber ist ihre Verwendung für das Kleinkind sichergestellt. Bei einer Inflationsrate von knapp 10 Prozent dürfte der Finanzminister den Eltern auch nicht raten, das Geld auf ,ein Sparkonto zu le- . gen. Bis zu dem Zeitpunkt, da die 16.000 Schilling tatsächlich ausschließlich für die Bekleidung und schulische Erziehung des Kindes eingesetzt werden können, würde die Inflation die Geburtenbeihilfe nachgerade entwertete haben.

Im System der Zuteilung von Fixbeträgen sowohl bei Verehelichungen als auch bei Geburten ist überdies bei Inflationsraten im 10-Prozent-Bereich eine sehr große Ungerechtigkeit eingebaut, die nur durch eine Dynamisierung der Beihilfen minimiert werden könnte: jene 15.000 Schilling, die einem frischvermählten Paar vor zwei Jahren ausbezahlt wurden, entsprechen heute maximal 12.500 Schilling. Eltern, die im Jänner 1975 für ihr Neugeborenes 16.000 Schilling bekommen, sind vergleichs-

weise besser dran, als Eltern, die Anfang 1977 die Geburtenbeihilfe ausbezahlt erhalten werden. Bei prognostizierten, Inflationsraten von etwa 9 Prozent im nächsten und auch nur 8 Prozent im übernächsten Jahr beträgt ihr Verlust gegenüber den Anfang 1975 ausbezahlten 16.000 Schilling bereits 2500 Schilling. Erst recht problematisch wäre der Ausweg in eine Dynamisierung der Heirats- und Geburtenbeihilfe, weil auf diese Weise ein noch größerer Teil des Budgets bzw. des Familienlasten-ausgleichsfonds erstarren würde. So schwer diese Ungerechtigkeit wiegt, zumindest ebenso problematisch ist die Einführung einer Geburtenbeihilfe im Hinblick auf die notwendige Stabilisierungspolitik. Es ist anzunehmen, daß rund 80 Prozent der im nächsten Jahr ausbezahlten Gebur-

tenbeihilfen, also rund 1,3 Milliarden Schilling, direkt in den Konsum fließen und damit die Inflation von der Nachfrageseite her noch zusätzlich anheizen. Deutlicher hätte die Bundesregierung nicht zeigen können, daß Stabilisierungspolitik offenbar Nachrang hat. Die Geburtenbeihilfe bringt wenig soziale Gerechtigkeit mehr, kann kaum als familienpolitische Ersatzhandlung für die gesetzliche Zulässigkeit der Abtreibung begriffen werden und begünstigt die Eltern des Jahres 1975 mehr als die etwa des Jahres 1977. In der Hauptsache läuft sie auf eine Umverteilung öffentlicher Mittel für den privaten Konsum hinaus. Und deshalb ist sie auch nicht mit prinzipientreuer sozialistischer Politik vereinbar.

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