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Gift und Slums im Silicon Valley

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Silicon Valley - der kalifornische Stammsitz der Mikroelektronik. Sauber und umweltfreundlich. Forscher in weißen Kitteln an den Mikroskopen. Nur -dieses Bild stimmt nicht.

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Silicon Valley - der kalifornische Stammsitz der Mikroelektronik. Sauber und umweltfreundlich. Forscher in weißen Kitteln an den Mikroskopen. Nur -dieses Bild stimmt nicht.

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Die Mikroelektronik gilt als eine vorbildlich saubere und umweltfreundliche Industrie, ihr Stammsitz, das nordkalifornische Silicon Valley, als ein gepflegter Technologiepark, würdig, in aller Welt nachgeahmt zu werden.

Nirgends ragen Schlote in den Himmel und speien Dreck aus, der sich als saurer Regen niederschlägt. Nirgendwo stehen öl- und rußverschmierte Fabrikgebäude, deren gefährliche Abfälle aus den Deponien ins Grundwasser sik-kern. Den adretten Arbeitskräften sieht man an, wie menschenwürdig es in den schmucken Fertigungsstätten zugeht: sie tragen blütenweiße Kittel, Hauben und

Atemmasken, arbeiten an Mikroskopen mit filigranen Werkzeugen und Gerätschaften in einer staub-, wo nicht keimfreien Umgebung.

Weil die Mikroelektronik eine Wachstumsbranche ist, gibt es keine Arbeitslosigkeit. Löhne und Gehälter steigen immerfort, so wie die Preise der Produkte fortwährend sinken. Selbstredend gibt es keine Gewerkschaften. Denn wer bedürfte in diesem Wirtschaftsparadies der gewerkschaftlichen Fürsorge und Solidarität?

An diesem mit viel professioneller Imagepflege konstruierten Bild ist so gut wie alles falsch. Nur eins stimmt: die Organisatoren der Gewerkschaften stehen draußen vor den Toren der Betriebe und kommen nicht hinein. Denn für die meisten Elektronikmanager ist alles, was nach Gewerkschaft klingt, Teufelswerk. Gegenwärtig ist keine der Firmen im Silicon Valley organisiert, weil die Konzerne es nicht wünschen. Viele Firmen verteilen gewerkschaftsfeindliche Broschüren in den Werken, und die Manager werden durch Spezialkurse in der Eindämmung des Gewerkschaftseinflusses unterwiesen.

Wie es in der großen Welt ein Nord-Süd-Gefälle zwischen wohlhabenden Industriestaaten und ärmeren Entwicklungsländern gibt, so ist auch die Miniaturwelt des Silicon Valley räumlich nach Arm und Reich geteilt. Die das Valley umfassende Verwaltungseinheit Santa Clara County (siehe Schaubild) zerfällt in ein North und ein South County. In den Gemeinden des North County, in Palo Alto, Mountain View, Cupertino und Sunnyvale, haben die Elektronikfirmen ihre Verwaltungen und Labors, wohnen die Manager, Wissenschaftler und Ingenieure. Im South County, das aus der Großstadt San Jose und den Randgemeinden Milpitas und Gilroy besteht, ist das Gros der Fabrikationsstätten untergebracht. In den Slums des South County drängt s'ich das Industrieproletariat, das übervolle Arbeitskräftereservoir der Mikroelektronik: über eine halbe Million nicht englischsprechender Ausländer, darunter ungefähr 300.000 Frauen, von denen nur jede dritte jeweils einen Job hat.

Die Herren des Silicon Valley sind stolz auf die große Mobilität ihrer Arbeitskräfte. Sie gilt ihnen als Indiz für soziale Flexibilität und für das Streben nach Höherem, will sagen: nach höherem Einkommen. In Wahrheit ist die Mobilität eine unfreiwillige. Bei der geringfügigsten konjunktu-

rellen Schwankung oder Marktfehleinschätzung durch das Management fliegen die Arbeitnehmer zu Tausenden auf die Straße.

Jede Produktionsarbeiterin im Valley darf sich glücklich schätzen, wenn sie nach etlichen Wochen oder Monaten Arbeitslosigkeit wieder einen Job findet, der ähnlich schlecht bezahlt wird wie der letzte. Der Druck durch die wachsende industrielle Reservearmee und die Arbeitsplatzunsicherheit halten diese Ausländerinnen davon ab, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Denn das haben sie in den USA sofort

begriffen: ein Gewerkschaftsmitglied stellt niemand ein.

Ein Arbeitstag bei den Firmen AMD, Fairchild, Intel oder National Semiconductur dauert achteinhalb Stunden, davon ist eine halbe Stunde unbezahlte Mittagspause. Die gleichfalls unbezahlte Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dauert im Schnitt anderthalb bis zwei Stunden auf total verstopften Autobahnen. Gearbeitet wird - je nach Konjunktur und Auftragslage - an drei, vier, fünf oder sechs Tagen in der Woche. Die Löhne beginnen mit vier Dollar, knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn, und enden bei maximal neun Dollar (umgerechnet 150 Schilling) für Arbeiten an ebenso kostspieligen wie hochempfindlichen Maschinen, zum Beispiel für die Arbeit an einer Maschine, mit der man ganz präzis Ionen in den noch unfertigen. Chip implantieren kann.

Bei meinen Recherchen im Silicon Valley habe ich solche Arbeiterinnen kennengelernt: Mexikanerinnen, Philippinas, Südamerikanerinnen, eine junge Frau aus El Salvador.

Auf dem Stadtgebiet von San Jose liegt ein Werk des Mikro-chip-Herstellers Fairchild Camera and Instrument Corporation,

einer Tochter des französisch-amerikanischen Erdöldienstlei-stungs- und Elektronikmultis Schlumberger Ltd. Aus den unterirdischen Tanks dieses Werks waren im Herbst 1981 etwa 220.000 Liter giftige Lösungsmittel ausgeflossen und hatten das Grundwa^ ser verseucht. Es handelte sich um Trichloräthylen oder TCE, ein Lösungsmittel, das weithin verwendet wird, um Silikonchips zu säubern. Eine 1983 vorgenommene Untersuchung des Nationalen Toxikologieprogramms ergab, „daß TCE bei Mäusen im Labor Krebs auslöste“. So die New York Times vom 30. Oktober 1983.

Die Technology Review, das höchstseriöse Wissenschaftsjournal des Massachusetts Institute of Technology, berichtet in der Mai/ Juni-Nummer 1984 noch von einem anderen Lösungsmittel aus der Äthanolfamilie, „das in der Halbleiter-Fabrikation regelmäßig benutzt wird, obschon seine toxische Wirkung auf das Fortpflanzungssystem bekannt ist“. Sein Hersteller ist der berüchtigte Chemiekonzern Dow Chemical, der der US-Armee während des

Vietnam-Kriegs als Hauptlieferant für das dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange gedient hatte. Dow vertreibt das Lösungsmittel unter dem harmlos klingenden Markennamen „Cel-losolve“.

Die Technology Review berichtet, daß im Silicon Valley jährlich mehrere Millionen Kubikmeter hochgiftiger Lösungsmittel und Industriegase verbraucht werden. Selbst die Frankfurter Allgemeine (2. Mai 1985) kann sich der Feststellung nicht enthalten: „Als besonders gefährlich gilt Arsin, ein in höherer Dosierung tödliches Gas, das die roten Blutkörperchen zerstört und die Nieren schwer schädigt. Längere Zeit in geringer Menge eingeatmet, ist es möglicherweise krebserregend.“

Die Technology Review hat auch ermittelt, daß die Zahl der Berufserkrankungen in der Halbleiterindustrie „dreimal so hoch ist wie im industriellen Durchschnitt“, und das, obwohl die Firmen die Statistiken verfälschen, indem sie das Einatmen von giftigen Gasen als simple „Verletzung“ zu bezeichnen belieben.

Der Autor lebt als Schriftsteller in New York und Köln. Der Beitrag ist ein Auszug aus seinem Artikel in der Nr.1/1986 von „Merkur - Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“.

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