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Giganten und nukleare Bittsteller

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Die Politik hat die mythische Kraft des Atoms von neuem entdeckt. Amerikas Präsident verteilte die nukleare Gabe als Belohnung für das Wohlverhalten beider Streitparteien bei den Friedensbemühungen seines Außenministers. Nixon versprach friedliche Atomenergie an zwei Staaten, die bereits vor dem letzten Waffengang an der Schwelle zur Atommacht standen. Denn beide Seiten verfügen dank der Unterstützung durch ihre Schutzmächte und der Geschäftspraktiken atomarer Außenseiter wie Frankreich sowohl über das technische Rüstzeug als auch für den Einsatz notwendige Trägerarsenal. Wohl versagten die Stabilisierungsbemühungen der Großmächte im Nähen Osten den Kontrahenten bisher den Eintritt ins atomare Lager; auch behielten sich die Gönner den Zugang zum atomaren Drücker vor. Wie schnell aber atomare Aufbauhilfe ihre Bestimmung ändern kann, mußte Kanada am indischen Subkontinent erkennen.

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Die Politik hat die mythische Kraft des Atoms von neuem entdeckt. Amerikas Präsident verteilte die nukleare Gabe als Belohnung für das Wohlverhalten beider Streitparteien bei den Friedensbemühungen seines Außenministers. Nixon versprach friedliche Atomenergie an zwei Staaten, die bereits vor dem letzten Waffengang an der Schwelle zur Atommacht standen. Denn beide Seiten verfügen dank der Unterstützung durch ihre Schutzmächte und der Geschäftspraktiken atomarer Außenseiter wie Frankreich sowohl über das technische Rüstzeug als auch für den Einsatz notwendige Trägerarsenal. Wohl versagten die Stabilisierungsbemühungen der Großmächte im Nähen Osten den Kontrahenten bisher den Eintritt ins atomare Lager; auch behielten sich die Gönner den Zugang zum atomaren Drücker vor. Wie schnell aber atomare Aufbauhilfe ihre Bestimmung ändern kann, mußte Kanada am indischen Subkontinent erkennen.

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Was als friedliche Aufbauhilfe gedacht war, verpuffte in den Morgenstunden des 18. Mai in der Wüste von Radschastan in der gespenstischen, bizzarren Form eines Atom-

pilzes. Indien war zur sechsten Atommachit aufgerückt, das erste Entwicklungsland, das es nach China geschafft hat, dn das Atommonopol der Großen einzubrechen. Beifall ernteten die Inder für ihre Tat kaum. Applaus kam nur von einigen kleineren asiatischen Ländern, die Indien nun als Gegengewicht zu den Chinesen ansehen, sowie aus dem Kreis jener Entwicklungsländer, die sich von Indiens Wissenschaft das erhoffen, was die Industrieländer an atomarem Know-how bisher versagten. So waren schon vor Nixons Gabe ägyptische Atomwissenschaftler an der Stätte des indischen Erfolges.

Das Echo blieb auch in Peking aus. Nicht aus dem Grund, daß man dem indischen Erfolg keine Beachtung schenken würde — Moskaus Raketen stehen auch zum Export nach Asien bereit. Pekings Antwort kam fast auf den Tag einen Monat später: Maos Schüler begnügten sich nicht mit verbalen Schritten, sie gaben die Antwort mit nuklearem Getöse. Auf dem bekannten Versuchsgelände von Lop Nor dn Osttibet zündeten chinesische Experten die fünfzehnte Nuklearbombe seit dem Eintritt Pekings in das atomare Lager. Am gelassensten fiel die Reaktion des amerikanischen Außenministers Schlesinger aus. Für ihn hat sich der chinesische Wettlauf um ein atomares Gegengewicht zu Moskau verlangsamt.

Die Befürchtungen, Chinas Führung werde bereits 1975 über das Druckmittel von Interkontinentalraketen verfügen, haben aber bloß eine zeitliche Verschiebung erfahren. Die Außenseiterrolle, die Peking im Atomklub spielt, könnte neben der Gefahr, daß die nukleare Weltkontrolle der Supermächte gefährdet ist, eine Aufmunterung an potentielle Atommächte sein, den letzten Schritt

in Richtung auf eine militärische Nutzung zu tun.

Bundesrepublik-Japan

Zu den potentiellen Mitgliedern

der Atomrunde zählen, da sie über die notwendigen technischen Voraussetzungen bereits jetzt verfügen, in erster Linie Japan und die Bundesrepublik. Beide Staaten haben sich bisher durch ihre Rolle, als am Ausbruch des letzten Weltkrieges schuldig Gesprochene, in der atomaren Frage zurückgehalten. Die Regierungen der zwei Industriemächte vertrauten vorerst auf den Schutz des Protektors Amerika. Für die Bundesrepublik ist die Frage der atomaren Ausrüstung zweitrangig, solange die Präsenz amerikanischer Truppen und mit ihr die Lagerung atomaren Potentials auf dem Boden der Bundesrepublik einen Abschreckungseffekt garantieren. Japans Rolle im fernöstlichen Sicherheitssystem gerät gegenüber den beiden Atommächten China und nun Indien auf die Dauer ohne nukleares Potential ins Hintertreffen. Dies um so mehr angesichts der Bestrebungen des iranischen Herrschers, Schah Pahlevi, den Aufstieg Persiens zur herrschenden Macht im Mittleren Osten durch Atomwaffen abzusichern. In der letzten Woche führte der Schah mit dem französischen Präsidenten Giscard Gespräche mit dem Ziel einer französischen Unterstützung. Auch Jugoslawien und Brasilien werden als potentielle Atommächte genannt.

Rücksicht auf Frankreich?

Diese Entwicklung gefährdet alle bisher auf dem Weg zu einer atomaren Beschränkung erzielten Fortschritte. Noch immer stehen aber zwei Atommächte außerhalb des Atomklubs: Frankreich und China. Sie werden durch ihre Außenseiterrolle zum begehrten Objekt der Entwicklungsländer und werden mit ihrer Politik möglicherweise bald diktieren, ob die Supermächte nicht von

ihren selbstgeschaffenen Non-Pro-liferations-Bestimmungen werden abrücken müssen.

Auch im politischen Liniensystem bereitet die Rolle der beiden nuklearen Außenseiter den Supermächten Kopfzerbrechen. Moskau legt bei den SAL-Venhandlungen großen Wert darauf, daß die atomare Kapazität Großbritanniens und Frankreichs der amerikanischen Nuklearstärke addiert werde. Da der Kreml diese Forderung gegen Konzessionen auf anderem Gebiet einsetzen könnte, muß es Washington sehr daran gelegen sein, von Paris eine Zustim-ming au einer gemeinsamen Atomstrategie zu erhalten. Dabei ist auf die französische Empfindlichkeit hinsichtlich seiner Souveränität Rücksicht zu nehmen, um so mehr, als Frankreich ein amerikanisch-sowjetisches Atom-Kondominium befürchtet und in seiner atomaren Unab-

hängigkeit gerade deswegen eine wichtige Sicherheitsgarantie für sich selbst und Europa sieht.

Der Preis, den Amerika für die Bereitschaft Frankreichs zu einer nuklearstrategischen Zusammenar-

beit zu bezahlen hat, liegt auf technischem wie politischem Gebiet. Wohl haben Frankreichs Steuerzahler schon bisher 60 Milliarden Mark für die atomare Unabhängigkeit aufbringen müssen. Doch ist durch die Rasanz des technischen Fortschritts der Supermächte auch für die Atommacht Frankreich noch kein Ende des Wettlaufs abzusehen.

Gegenwärtig verschießen alle französischen Raketentypen nur einfache Atom-Sprengköpfe, sogenannte Fusionsbomben mit wenigen technischen Eindringhilfen, die es ermöglichen würden, in die Moskauer Raketenabwehr einzudringen. Die gegenwärtig im antipropagandistischen Schutz der indischen und chinesischen Atomexperimente laufende Testserie auf dem Mururoa-Atoll soll den Durchbruch zum Wasserstoffgefechtskopf bringen. Noch ist unklar, welcher Sprengköpfe sich Frankreich für seine Abschreckungsmacht bedienen will. Ein Ubergehen auf die sogenannten MIRV-Sprengkcpfe — also Raketenspitzen, die in unabhängig voneinander zu steuernde atomare Sprengsätze zu zerteilen sind — könnte möglicherweise die Hilfe des überlegenen amerikanischen Know-how herausfordern. Die Franzosen ihrerseits hoffen, den technischen und finanziellen Engen durch ein europäisches atomares Bündnis begegnen zu können. Es scheint aber Washington leichterzufallen, Frankreich atomare Geheimnisse preizu-geben, als sich mit der Schaffung eines einigermaßen autonomen europäischen Verteidigungssystems abzufinden.

Obwohl das Ausland Frankreich für einen „Atomzwerg“ hält, tragen seine 18 auf dem steinigen Plateau d'Albion 23 Meter tief in den Fels verbunkerten Raketen eine Zerstörungskraft, die siebenfach jener von Hiroshima entspricht, aber nur dem Siebentel einer amerikanischen Mi-nuteman gleichkommt. Dennoch muß der Kreml, wenn nur eine von drei französischen Nuklearladungen ihr Ziel erreicht, mit der atomaren Verwüstung von rund dreißig sowjetischen Städten rechnen. Nun hat Frankreich vor, seine Abschreckungskraft bis in die achziger Jahre entscheidend zu steigern. Nach 1978 sollen fünf strategische U-Boote, bestückt mit Raketen von 3000 Kilometer Reichweite und ausgestattet mit thermonuklearen Sprengköpfen im Megatonnenbereich, zur Verfügung stehen.

Kann Frankreich also auf die Dauer die Rolle des atomaren Au-

ßenseiters spielen oder bleibt China auf Dauer diese Rolle vorbehalten?

Wohl ist Chinas Nuklearstreitmacht nicht von der technischen Aufwendigkeit wie jene der Franzosen. Technologisch sind die Chinesen indes bereits einen Schritt weiter. Sie haben bereits erfolgreich H-Bomben-Tests durchgeführt und scheinen auch in der Raketentechnik an der Schwelle zur interkontinentalen Reichweite zu stehen. Nach neuesten Berichten ungarischer Blätter hat die Volksrepublik auch bereits ein atomares U-Boot erfolgreich getestet.

Einfluß auf Moskauer Gipfel

Der Rüstungswettlauf der atomaren Außenseiter und der nuklearen Bittsteller-könnte auch den Fahrplan des Moskauer Gipfels beeinflussen. In Washington überwiegt trotz mancher Unkenrufe vorerst noch leichter Optimismus, was die Chancen auf substantielle Fortschritte zu einer ^erlangsamung des atomaren Wettrüstens anlangt. In der westlichen Welt aber überwiegt die Sorge, der von Watergate gelähmte Präsident könnte sein Heil in Konzessionen an den Kreml suchen. Indes scheint die Nahostdiplomatie seines Außenministers Nixons außenpolitische „Scheune“ für den innenpolitischen Brand genügend gefüllt zu haben. Wohl macht der bekannte demokratische Senator Jackson, Nixons Gegenspieler im Ringen um eine harte Linie den Sowjets gegenüber, Stimmung mit neuesten Meldungen von der Raketenfront. So sollen die militärischen Führer im Kreml die durch SALT I zugestandene Zahl von 950 U-Boot-Raketen bereits um 70 überschritten haben, während die USA auf ihrem Stand von 656 Raketen geblieben sind. Auch droht die technologische Führung der USA durch gewaltige Anstrengungen der Sowjets auf dem Sektor der Mehrfachsprengköpfe in Bälde egalisiert zu sein. Zudem hätten die Sowjets bereits durchblicken lassen, daß sie bei Einstellung zweier amerikanischer Rüstungsprojekte, des Projekts eines neuen atombestückten Über-schalltoombers und eines neuen Atom-Unterseebootes, zu Konzessionen bereit wären. Diese beiden Projekte scheinen in der Sowjetunion kein gleichwertiges Gegenstück zu besitzen, weshalb die Opferbereitschaft der Russen offenkundig ist.

Neben dem Abschluß eines Abkommens über die Einschränkung der beiderseitigen unterirdischen Kernwaffenversuche wäre jedoch die Prolongierung des ersten, bis 1977 geltenden SALT-I-Abkommens denkbar. Dadurch wäre Zeit für neue Verhandlungen zu gewinnen. Insgesamt wird aber jeder ausbleibende Fortschritt auf dem Gebiet eines atomaren Rüstungsstopps die Zweifei derjenigen bestärken, die dem atomaren Schutz der Supermächte schon bisher nicht trauten.“

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