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Gipfeltour auf Trümmern

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Es war eine dunkle Nacht im Frühjahr 1945. Die Drähte der Straßenbahn-Oberleitung hingen bis auf die Straße herunter und man durfte sie nicht berühren, weil Berührung gleich Tod sein konnte.

Da und dort brannte noch ein Haus und die Gefahr, von einer russischen Militärpatrouille gestellt zu werden, war praktisch hinter jeder Ecke gegeben.

Friedrich Funder hatte mich aufgefordert, ihn von Pater Johannes Thauren in der Annagasse im ersten Wiener Bezirk zum Herold-Verlag zu begleiten. Bei Pater Thauren traf sich jeden zweiten bis dritten Tag ein Kreis von Idealisten aus Front, Widerstand und den politischen KZs, um mit bedeutenden Persönlichkeiten der Ersten Republik — soweit die bereits greifbar waren — die Zukunft Österreichs zu diskutieren.

Viel Idealismus, Patriotismus und bester Wille waren dort vorhanden, gepaart mit wenig Wissen von der Welt, der Politik und dem Handwerkszeug des Staatsaufbaus. Aber für die Ideen einer jungen politischen Generation, die von Aktivität fast zerplatzte und die brennend daran interessiert war, sich politisch zu profilieren, war kein Sprachrohr vorhanden.

Darüber sprach Friedrich Funder auf diesem gespenstischen Weg, der immer wieder durch Trümmer versperrt wurde, über die man klettern mußte. Ich kann mich noch genau erinnern, daß Funder in seiner Berghose und seinen hohen Schuhen viel besser für die „Gipfeltour“ ausgerüstet war als ich. Und kletternd und stolpernd in der dunklen Nacht, nur von Bränden geleitet, entwickelte er mir seinen Plan:

Eine Zeitung müßte her, in ihrer Grundtendenz aufgeschlossenchristlich gegenüber der neuen Zeit, ein Blatt für alle jene, die einen neuen Anfang suchen wollten für ein neues, wiedererstandenes Österreich.

Er erzählte mir das mit so viel Dynamik und Feuer, daß ich ganz benommen war von der Fülle seiner Argumente. Ja, und dann müßte sie noch eine Brücke bilden von der großen Geschichte Österreichs zu diesem neuen Anfang. Damals hörte ich zum ersten Mal das Wort vom revolutionären Konservativen.

Ich war sehr beeindruckt und etwas aus dem Gleichgewicht, als mich Funder vor dem Herold-Verlagsgebäude fragte, ob ich bereit wäre, an der Gründung dieser Zeitung mitzuwirken. Sie sei in ihren Grundzügen schon „aufgebaut“, es fehlten nur noch der Titel und engagierte Mitarbeiter.

Ich, der ich nichts von Zeitungen und ihrer Herstellung verstand, wurde von einem der größten Journalisten der österreichischen Zeitungsgeschichte aufgefordert, mitzuarbeiten. Ich, der ich gar nicht wußte, ob ich die Dinge, die mich bewegten, auch schriftlich darstellen konnte. Aber der Mensch zwischen Krieg und Frieden setzt andere Maßstäbe. Jeder war voll von Energie und vom Wunsche getrieben, mitzutun, anzupacken, sich zu betätigen - und so sagte ich ihm, noch ein bißchen im Trancezustand, spontan ja.

Am nächsten Tag begann die Arbeit, eine konsekutive Folge von Sitzungen, von Arbeitsgruppen, von Schwierigkeiten. Aber Friedrich Funder und die Redakteure der ersten Stunde waren sich alle einig: FURCHE müßte sie heißen, und aus dieser Furche müßte eine österreichische Saat wachsen.

Wer niemals eine Zeitung aus dem Nichts geschaffen hatte, ohne Papier, ohne Strom, ohne Infrastruktur, der wird nur schwer begreifen können, wie berauscht wir von der Idee waren, rechtzeitig die erste FURCHE herauszubringen. Alle Redakteure der ersten Stunde, etwa Emil Mika, Helmut A. Fiechtner, Willy Lorenz, gönnten sich keine freie Minute, sondern waren besessen von Ehrgeiz und Begeisterung. Und darüber als Mentor Friedrich Funder, dem auch das Unmöglichste gelang: So hatten wir für den ersten Umbruch Papier, Lettern und Strom.

Jede Redaktionskonferenz mit ihm war für uns Junge nicht nur „Blattherstellung“, sondern gleichzeitig erlebte Geschichte. Jeder Umbruch war ein Aufbruch in neue Dimensionen.

Dann war die erste Nummer der FURCHE da, und in dieser unterstrich Funder die .integrale Aufgabe „seiner“ Zeitung.

Sie sollte Heimat aller Österreicher, aber darüber hinaus auch aller Flüchtenden aus den ehemaligen Gebieten der Monarchie, sein. Die Entrechteten und Enterbten sollten in diesem Blatt einen geistigen Partner finden. Sie sollte den politisch Heimatlosen ein Diskussionsforum bieten. Und der Haß sollte abgebaut werden — damals ein kühnes Ansinnen. Vor allem aber sollte sie mithelfen, das neue demokratische Österreich aufzubauen, und wir wollten dafür kämpfen, daß Österreich bald frei von den Besatzungsmächten werden sollte.

Der Erfolg dieser Idee war überwältigend. Nicht nur, daß alle geistigen Kräfte bestrebt waren, in der FURCHE zu Wort zu kommen — und es würde den Rahmen sprengen, alle berühmten Namen aufzuzählen, die ihre ersten „Gehversuche“ in diesem Blatt gemacht haben —, ich glaube mich auch zu erinnern, daß die Redaktion an die hundertmal vom Alliiertenrat verwarnt wurde. Das kleine „f“, das die Leitartikel von Friedrich Funder kennzeichnete, stellte Weichen für die Politik. Es gab auch Politiker, die sich vor diesem Buchstaben fürchteten.

Zurückdenkend an diese Zeit der ersten Redaktionskonferenzen und der „Umbrüche“ mit dem allgegenwärtigen Funder, seinen weißen Bart wie eine Fahne vorweg, lobend, schimpfend, entlassend, gleich wieder aufnehmend, eingreifend und seinen „Redaktionshorst“ gegen alle Angriffe verteidigend: Es war eine wunderbare Zeit, die nur aus dem kompletten Chaos, aus dem die FURCHE entstanden ist, und von denen, die dabei waren, begriffen werden kann. Und diese Zeit ist nicht zu wiederholen.

Der Autor, Konsulent des Vorstandes der Creditanstalt-Bankverein und mit der Leitung der Abteilung für Kommunikation betraut, war der erste „Verantwortliche Redakteur“ der FURCHE.

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