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Glänzender Talmi

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Es hat in den letzten Wochen, während der Wiener Festwochen, laut und vernehmlich geknirscht. Es knirschte nicht nur im Getriebe einer Intendanz, deren Überlegungen auch mit viel Einfühlungsaufwand kaum mehr zu verstehen sind, und es knirschten auch nicht nur die Zähne wütender oder resignierter Zuschauer etwa angesichts des lässigen, verantwortungslosen Umgangs mit Oskar Kokoschkas prä-expres-sionistischem Jugenddrama „Mörder, Hoffnung der Frauen“ oder einer so stinklangweiligen Zumutung wie der „Narrnkastl“-Produktion „Sigmund (B) Ein Taucherdrama“ in der Spanischen Reitschule.

Es knirschte auch ganz buchstäblich, und zwar unter den Füßen derer, die zur E-Halle des Messepalastes strömten, wo unter anderem die Berliner Schaubühne mit ihrem „Triumph der Liebe“ von Marivaux gastierte oder aus den Werken jenes Karl Kraus gelesen wurde, der zum Glück der Festwochen-Verantwortlichen nicht mehr über sie schreiben und der sich auch nicht mehr dagegen wehren kann, von jenen ausgebeutet zu werden, die er, lebte er noch, bekämpft hätte und dessen Namen all das, was sich jetzt und nicht nur hier zur Instanz aufplustert, nur auszusprechen braucht, um ihm schon das Wort im Mund verdreht zu haben.

Es knirschten die Scherben, mit denen der Zugang zur E-Halle bestreut war. Sie stammten von zerbröselten Windschutzscheiben, und Hunderte Füße verteilten sie täglich in der Gegend. Die Damen fürchteten um ihre Schuhe und schimpften. Was die Scherben symbolisieren sollten, blieb Gegenstand des Rätselratens. Unbeabsichtigt wurden sie zum Symbol für den Zustand dessen, was Wien am heiligsten ist, nämlich sein Image in der Welt. Glitzernd, doch wertlos, wie sie da lagen, wurden sie aber auch zum Symbol

für eine Talmikultur, der sich die Festwochen heuer besonders hingebungsvoll in die Arme geworfen haben.

Die Scherben im Neonlicht, aber auch die silbrigen Plastikfransen an den Leitungsdrähten über vielen Straßen und die Hasch-mich-Totempfähle, die sich für Freud'sche Symbole hielten, aber eher den letzten, für den Export in die USA verpackten Wiener Gaskandelabern ähnelten, sie paßten ganz wunderbar zu einer Kulturpolitik, die das Etikett „mutig“ für die Ausgrabung

all dessen reklamiert, das vor 80 Jahren tatsächlich mutig war und unter der Schutzmarke „Wien um 1900“ zur Imagepolierpaste zermanscht wurde.

Nichtssagend und profillos, wie sie waren, markierten diese Wiener Festwochen einen neuen Höhepunkt in der Entwicklung der heute so gefragten Kunst, so zu tun, als ob. So, wie sie waren, könnten sie Resultat der Erkenntnis sein, daß dem Ablenken von all dem, wovon in dieser Gesellschaft keinesfalls abgelenkt werden dürfte, eine esoterische, dem Elitebewußtsein einer schmalen .JCulturträgerschichte“ schmeichelnde Kunstübung womöglich noch besser dient als die einst für solche Zwecke eingespannte seichte Unterhaltung. Es könnte ohne weiteres das geheime Ziel dieses Festwochenprogramms gewesen sein,' den eine Etage höher amtierenden Instanzen alles vom Leib zu halten, was ihnen unbequem werden könnte.

Auch von den Ausübenden ernst gemeinte, engagiert betriebene Arbeit an der Kunst kann unter dem milden Regen einer entsprechenden Förderungs-, Subventions- und Programmierpolitik zum Disneyland der

Harmlosigkeit entarten. Da schrumpft einer ganz schnell zum Gartenzwergerl und merkt's nicht einmal.

Zeichen einer neuen Harmlosigkeit war der heuer mächtig emporgeschnellte Anteil des „Theaters ohne Stücke“ und des „Theaters ohne Text“, aufgeputzt als „Befragung des Mythischen“ und mit ähnlichen schicken Floskeln.

Selbstverständlich kann nonverbales Theater großartiges Theater sein, und „Anima“ von Erwin Piplits bleibt das herausragende Ereignis dieser Festwochen. Die Intendantin, die's ermöglicht hat und die in einem Text für das,,Anima“-Programm für sich in Anspruch nimmt, „den Unbequemen mehr Chancen einzuräumen“, muß man aber schon daran erinnern, daß es zu den uralten in Wien perfektionierten Taktiken gehört, als unbequem vor allem jene abzuwürgen und kaltzustellen, die die Wahrheit sagen und sich mit denen zu arrangieren, die sie in Bilder und Töne kleiden, denn die sind immer noch eher auszuhalten.

Wollen die Wiener Festwochen, was das Theater betrifft, nicht in Bedeutungslosigkeit, Langeweile und immer auffälligerem So-tun-als-Ob versinken, wird es ihren Verantwortlichen nicht erspart bleiben, sich genau dem zu stellen, wovon man meinen könnte, daß sie es am meisten fürchten: Dem, was jetzt und hier drängt, auf die Nerven fällt, virulent ist, schmerzt, Nadelstiche aus der Verdrängung ins Bewußtsein sendet, mit anderen Worten: der Wirklichkeit dieser Gesellschaft.

Dabei darf sich Wien ruhig so sehen, wie es Karl Kraus gesehen hat: Als „Laboratorium des Weltunterganges“. Auch wenn wir Kernenergie nicht erzeugen, sondern bloß importieren, brodelt und west hier doch, im Kleinen und daher erkennbar, was die Welt im Großen in den Abgrund treibt

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