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Glanz und Elend

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Bis zum 26. Oktober läuft auf Schloß Grafenegg bei Krems der zweite Teil der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung über die Regierungszeit Franz.Josephs I.

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Bis zum 26. Oktober läuft auf Schloß Grafenegg bei Krems der zweite Teil der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung über die Regierungszeit Franz.Josephs I.

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86 Lebensjahre, 68 Regierungsjahre — die Franzisko-Josephini-sche Ära begann in den Wirren der Revolution von 1848 und endete in den Schlachten des Ersten Weltkriegs mit dem Trauerkondukt zur Kapuzinergruft. Sie war gekennzeichnet durch die Aufbrüche des Liberalismus und der Industrialisierung und endete in der Decadence des Fin de siecle.

Ist es überhaupt möglich, solche Epochen mit ihren Umbrüchen und Kontinuitäten, mit allen Facetten des Lebens in einer Ausstellung einzufangen, ohne dabei der Gefahr zu erliegen, in Nostalgie schwelgend die vielen Höhepunkte dieser Zeit überzubewerten? Oder ins Gegenteil verfal-

lend die schwarze Kehrseite einer strahlenden Medaille noch schwärzer zu zeichnen — wie man es so lange im Pendelschlag der Betrachtung getan hat?

Die rein zeitliche Aufteilung in zwei Abschnitte war ein Weg zum besseren Verständnis: Nach der Präsentation der Jahrzehnte „Von der Revolution zur Gründerzeit“ vor drei Jahren soll nun der zweite Teil der Niederösterreichischen Landesausstellung die Spätphase der Ära, die Zeit von „Glanz und Elend“ , die Jahre von etwa 1880 bis 1916 bewußtma-chen. . x>

Glanz und Elend lagen (und liegen in der Ausstellung) nahe beieinander, schon im ersten Saal. Zur mit Damasttischtuch, Silberbesteck und Kristallgläsern gedeckten Hoftafel meldet eine Skizze die Sitzordnung für 140 Gäste - deren „Elend“ war es, daß der Kaiser sehr rasch und wenig aß und die Lakaien den Gästen den Teller unter der Gabel wegzogen, sobald der Kaiser sein Besteck hingelegt hatte. Die Bauernfamilie, die Arbeiterfamilie, die „Gäste“ der öffentlichen Ausspeisung hatten diesą „Probleme“ nicht.

In diesen Jahrzehnten erreichte das Elend der städtischen Proletarier seinen Höhepunkt - und drängte zu Gegenmaßnahmen, ebenso in den Bemühungen der Christlich-Sozialen wie im Kampf der Sozialdemokraten.

In diesen Jahrzehnten wanderten 3,5 Millionen Menschen aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie nach Ubersee aus. Die Burgen-länderkolonien in den USA sind heute noch Erinnerungen an diese Völkerwanderung. Aber wie viele ihrer Landsleute aus Nachfolgestaaten sind ihnen 1918, 1934, 1938,1945 gefolgt?

Glanzpunkte dieser Jahre waren nicht nur die Huldigungen der Menschen für den greisen Kaiser, wenn der Monarch seine Völker inspizierte — in jenen Jahren wurden in Lemberg und Czerno-witz und so vielen andern Städten zweiter Ordnung Theater und Opernhäuser, Universitäten errichtet. Wer aber weiß heute noch genau, wo Cernivzij, wo Lwow liegt?

Zum Elend dieser Jahre, das als ersten Franz Joseph selbst traf, gehörten — nach dem Tod seines Bruders Maximilian - der Selbstmord des Sohnes in Mayerling, die Entfremdung von Elisabeth, ihr gewaltsamer Tod in Genf, die Ermordung des Neffen in Sarajevo. Schicksalsschläge, die in der Ausstellung dezent angespielt werden und sich doch deutlich in den Altersbildern des Kaisers widerspiegeln.

Uberhaupt konzentriert sich die Schau diesmal darauf, Tupfen zu setzen, anzudeuten. Sie vermeidet damit den Fehler des ersten Teils, der den Besucher mit der Uberfülle an Themen und Details erschlug. Aber überfordert sie nun andererseits nicht den Besucher, der ohne die nötige Vorkenntnis durchgeht? Die Lektüre des zweibändigen Katalogs scheint diesmal nötiger als früher.

In diesen Jahren —1897 — wurde zum ersten Mal eine Frau, Gabriele von Possanner, an der Universität Wien zum Doktor der Medizin promoviert und damit das Medizinstudium für Frauen ermöglicht. Aber gleichzeitig sollte das Spielzeug die Mädchen auf ihre erste Aufgabe als Frau und Mutter hinleiten: Puppen mit ihren Garderoben und die dazugehörige Umwelt, bis zum noch gar nicht allgemein üblichen Badezimmer.

Für die Menschen spielte sich die Freizeit im Prater und ähnlichen Etablissements ab. Wer konnte, kurierte sich in Karlsbad oder Abbazia aus. Wer das nicht konnte, badete im Gänsehäuf el im quergestreiften Badeanzug.

In jenen Jahren —1907 — brachte endlich das allgemeine Wahlrecht die Gleichbewertung aller abgegebenen Stimmen — aber eben-

falls in dieser Zeit versteiften sich die ideologischen Fronten zwischen den Lagern.

Vieles fehlt, was auch erwähnt sein sollte- Militärwesen und Außenpolitik, Kirchen, Wissenschaft, Bildung fehlen diesmal ganz oder fast ganz, wogegen der Kunst wieder der gebührende Raum eingeräumt ist. Wobei deutlich wird, daß viele Künstler polnischer oder ungarischer Nationalität ihren Blick nicht nach Wien, sondern nach Paris gerichtet hatten. Die Politiker folgten ihnen bald…

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