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Glanz und Elend des Menschen

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Am vergangenen Sonntag kam aus Frankreich die Nachricht, daß Pablo Picasso in seiner Villa „Notre-Dame de Vie“ bei Mougins plötzlich gestorben war. Noch vor wenigen Tagen hatten die Agenturen gemeldet, daß der Einund-neunzigjährige eine große Ausstellung in Avignon vorbereitete, die nicht weniger als 200 neue Bilder umfassen sollte, und er selbst hatte Gerüchte um seine Gesundheit entschieden dementiert Dieser Tod hat die Welt und die Menschheit um einen ihrer größten Schöpfer ärmer gemacht, um einen Künstler, der wie kaum ein zweiter das Schöpferische par excellence verkörperte.

Der am 25. Oktober 1881 geborene Pablo Picasso, der ursprünglich Ruiz hieß, sich aber dann nach dem Mädchennamen seiner Mutter Picasso nannte, kam nach einer durchaus herkömmlichen akademischen Ausbildung bei seinem Vater und auf den Akademien in Barcelona und Madrid um die Jahrhundertwende nach Paris. Nach den sentimentalen Bildern mit sozialen und symbolistischen Themen wurde er von der strengen Form katalanischer andmalereien und früher iberischer Plastik beeindruckt und malte 1907 sein erstes Hauptwerk, die entscheidenden „Demoiselles d'Avignon“, in dem der dreidimensionale Bildraum und che dreidimensionale Form bereits gewaltsam verändert erscheint. Über die Begegnung mit dem Werk Cezannes, das Picasso damals kennenlernte, entwickelte er in der Folge seine ersten kubisti-schen Bilder, die eine neue Darstellungsform für die räumliche Wirklichkeit bedeuteten und die Ganzheit eines Objektes und des umgebenden Raumes zu erfassen suchten. Verschiedene Ansichten und Blickpunkte werden unter dem Aspekt der Gleichzeitig auf die Fläche projeziert, wobei sich die in Bruchstücken erfaßten Formabschnitte überschneiden und durchdringen und die Wirklichkeit teilweise durch Zeichen suggeriert wird.

Dieses Frühstadium des Kubismus war gleichzeitig der Versuch Erfahrung auf ästhetische Beziehungen zu reduzieren. Damals stand Picasso an einer Wende. Leicht und naheliegend wäre es gewesen, die Wirklichkeit der Erscheinungen und damit die Darstellung einer neuen Idee von Raum und Form zu verleugnen und „absolute“ gegenstandslose Kunst zu schaffen, wie es gleichzeitig oder später um 1910 andere taten. Picasso wählte den komplexeren und schwereren Weg, der über eine erneute Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, der Natur und dem Klassizismus zu größeren Ordnungen der auf die Erscheinungen bezogenen formen und zu deren radikaler Veränderung führte.

Der entscheidende Durchbruch gelang ihm im Bild der „Drei Tänzerinnen“ des Jahres 1925, in dem ihm die erste überzeugende zusammenfassende Darstellung menschlicher Körper mit dem Umraum gelang, einem Bild, das wie im Keim den ganzen späteren Picasso des „Guernica“-Bildes, der Stilleben und Frauenbildnisse und der Kompositionen von Antibes bis in die letzten Jahre enthält. Was Picasso damit schuf, war eine neue Raumdarstellung, eine Multiplanperspektive, die verschiedene Ansichten eines Objektes in einer geschlossenen Form auf der Bildebene zusammenfaßt und die ebenso grundlegende Bedeutung hat wie die Linearperspektive für die Renaissance und im bildnerischen Bereich dem neuen Weltbild Einsteins mit seinen raumzeitlichen Koordination entspricht.

Was Picasso damit für die Malerei leistete, gelang ihm auch in der Plastik, in die er ebenso raumzeitliche Formaspekte einführte und in der er außerdem zum Begründer der Draht- und der Eisenplastik wurde. In seinem graphischen Werk belebte er durch seine virtuosen und spontanen stets von höchster Formkraft und Formerfindung getragenen Zeichnungen ebenso die Druckgraphik neu, wie es ihm gelang der Keramik neue und von mythologischem Leben erfüllte Impulse zu schenken.

Seine Bilder umfassen den ganzen Kosmos des Menschen vom Grauen des Krieges bis zu Kinderszenen, von Hymnus an das Leben bis zu dynamischen und stillen Landschaften und Stilleben, die die einfachen Gegenstände des Alltags in Metamorphosen verwandelt. Sein Werk kennt ebenso den Eros wie die Darstellung der Sexualität, die Anklage ebenso wie die Schilderung von Zärtlichkeit und Liebe. Daß es ihm gelang, diesen Kosmos in neue Formen zu gießen und mit seinem leidenschaftlich pulsierenden Leben zu erfüllen, ist vielleicht das Größte das ihm gelang: ihm seine eigensten persönlichen Züge aufzuprägen und ihn gleichzeitig zum Spiegel eines Ewigen, Schöpferischen, zu gestalten.

Die Welt hat einen unersetzlichen Verlust erlitten. Sie ist in einer an Schöpferischem armen Zeit um einen der größten Künstler, eine der größten Persönlichkeiten der Kunstgeschichte, ärmer geworden. Sie bleibt reicher durch sein Werk, das in seiner Ausprägung der Schöpferkraft vom Glanz und vom Elend des Menschen und des Lebens, vom Göttlichen in ihm, kündet.

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