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Glaube als Frotgß

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Glaube wird oft mißverstanden als rein subjektive Beziehung des einzelnen zu Gott oder als ein System von Glaubenssätzen, das der Mensch anzunehmen hat.

In Wirklichkeit ist Glaube ein Prozeß, an dem sehr viele beteiligt sind. .Niemand weiß, aus welchen — vielleicht räumlich entfernten oder zeitlich vergangenen — gläubigen Existenzen heraus sein eigener Glaube gespeist wird, sein Tun Kraft bekommt — ebensowenig wie er weiß, welche Menschen er selbst mitträgt“ (Romano Guardini).

Gerade beim Werden des Glaubens bestätigt sich das Wort des Apostels Paulus: „Zeiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst“ (Rom 14,7). Glaube ist eine Möglichkeit, „die der einzelne immer nur in der Korrespondenz mit anderen — und in der Mitverantwortung für sie ergreifen kann“ (Eugen Biser).

Dieser Glaube, der in ständigem Austausch mit anderen und auch mit dem Zeitgeist“ steht, ist nichts Statisches, sondern hat seine Geschichte; er kann wachsen, fortschreiten, aber auch verkümmern. Er kann heranreifen zur vollen Erkenntnis des Gottessohnes und zum Vollalter Christi (vergleiche Eph 13).

Solche Geschichte gibt es selbst im Leben Jesu„jo daß sich die in ihm promulgierte Gotteswahrheit je anders in (den Stadien der Lebensgeschichte) bricht; in der Naivität des Kindes anders als im Drang des Jünglings; auf der Schaffenshöhe des Mannes anders als in der Erniedrigung des Leidenden und in der Erhöhung des Auferstandenen“ (Eugen Biser).

Glaube als Prozeß. Dieses Prinzip gilt nicht nur für den Glauben des einzelnen, sondern auch für christliche Gemeinschaften und die ganze Kirche. Das Formgesetz dieser Entwicklung ist die Lebensgeschichte Jesu, durch die auch die „Vorgeschichte“ (die Schöpfung) und die „£ndgeschichte“ (die Vollendung der Schöpfung) gedeutet werden kann.

Die Lebensgeschichte Jesu ist sozusagen das Vorgegebene, der Rahmen, in dem sich der Glaube entfaltet. So ist der Glaube der Beliebigkeit entzogen, und trotzdem bleibt Raum für Wandel, Wachstum und Entfaltung.

Diese theoretischen Uber-legungen haben viele praktische Konsequenzen, sowohl für den einzelnen wie auch für das Glaubensverständnis der Kirche.

Glaube ist etwas Lebendiges; ständig in Austausch mit dem Glauben anderer; in ständiger Reaktion auf die jeweiligen Zeitverhältnisse und Bedürfnisse und trotzdem immer orientiert an Jesus, der die Mitte des Glaubens ist und ihm Gestalt und Dauer verleiht.

16. Teil einer Serie zum Buch „Die glaubensgeschichtliche Wende“ von Eugen Biser.

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