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Glaube an's neue Polen

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Kann man mittels Hoffnung ein Land regieren? Diese Frage wird sich dem neuen polnischen Premierminister Tadeusz Mazowiecki (siehe Seite 3) vom Bürgerkomitee der Solidamosc, der bis Ende des Monats sein Kabinett unter Dach und Fach haben will, alsbald stellen. Die Kommunisten Laben das Land zugrunde gewirtschaftet, die Bevölkerung ist demoralisiert.

In dieser Situation - vielleicht gerade noch rechtzeitig - steckt die Solidamosc den Kopf in die Regierungsschlinge (so sieht die Situation ein ungarischer Kommentator) und versucht, Polen das freie Atmen zu lehren. Man könnte müde lächeln über der Kommunisten Drohung, die Macht nicht kampflos fahren zu lassen - Solidamosc-Leute wie der stellvertretende Chefredakteur der Krakauer katholischen Wochenzeitung „Tygodnik powszechny“ und Sejm-Abgeordnete Krzysztof Koz-lowski nehmen dies sehr wohl wortwörtlich und prophezeien eine bittere Zeit für die neue Regierung; aber glaubt einer der FVAP-(Polni-sche Vereinigte Arbeiterpartei)-Leute wirklich noch daran, mit dem herkömmlichen Sozialismus einen Arbeiter, einen Bauern motivieren zu können?

„Jetzt haben wir die letzte Möglichkeit, die fast ausweglose wirtschaftliche Lage in Polen zu lösen“ - so sieht Jozefa Hanelowa, ebenfalls vom „Tygodnik powszechny“ die Ausgangsposition für das erste nicht-kommunistische Kabinett in Polen seit 40 Jahren.

Immer wieder hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren die Hoffnung der Polen auf diese „letzte Möglichkeit“ konzentriert. Da glaubte man, mit dem Hilfsfonds für die privaten Bauern - gespeist aus westlichen Geldern - die Versorgungslage entschärfen zu können; die Kommunisten vereitelten das Vorhaben mit ihrer Forderung, die Oberkontrolle über das Projekt zu erhalten. Dann arbeitete die regierende Partei selber Sanierungspläne aus: keiner griff.

General Wojciech Jaruzelski, jetzt Staatspräsident mit offenkundig realistischem Bück, unterzog die Vorhaben der polnischen Reformkommunisten einem Referendum -und erhielt eine Abfuhr. Nicht einmal dem, was von Reformkommunisten kam, brachte man mehr Vertrauen entgegen. Die Bevölkerung wurde ungeduldig. Die Jugend verlangte radikale Umgestaltungen. Eine vorrevolutionäre Phase wurde durch die sogenannten Gespräche am Runden Tisch entschärft, die zu den ersten fast freien Wahlen in einem osteuropäischen kommunistischen Land mit einer vernichtenden Niederlage für die KP führten.

Die Eigendynamik des von der kommunistischen Partei zögernd, manchmal widerwillig, nicht selten bloß taktisch, mitgetragenen Reformprozesses Heß sich nicht mehr stoppen.

Was kann jetzt - mit einer Koalitionsregierung unter Führung der Solidamosc und unter Beteiligung der Kommunisten, die neben dem Innen- und Verteidigungsministerium weitere Ministerpostenf ordern und noch den ganzen Informationsund Kontrollapparat in ihren Händen halten - aus Polen werden? Erstmals hat die Hoffnung eine neue Qualität bekommen. Die Aussicht auf Gesellschaftsveränderung - der Begriff „bürgerlich-zivile Gesellschaft“ hat bei Polen einen ungemein faszinierenden Klang - ist real geworden. Mitbestimmung und gesellschaftliche Kontrolle sind keine Schlagworte mehr. Die beiden Koalitionspartner - Bauemund Demokratische Partei - wollen, wenn auch nicht von der Spitze her, so doch von der Basis, an ihre alten, vor-kommunistischen Traditionen anschließen. Auch das schafft Hoffnung, sagt Hanelowa.

Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Das war das erste, was Tadeusz Mazowiecki den Polen sagen konnte; den Polen, die nichts dringender als Brot und Fleisch brauchen, wie der Mitarbeiter Kardinal Jozef Glemps und früher in Wien als Chefredakteur der Monatsschrift „Znaki czasu“ arbeitende Andrzej Micewski gegenüber der FURCHE betont. „Das Hauptproblem“ - so der Publizist - „ist gegenwärtig die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Natürlich brauchen wir auch moralische Werte - Hoffnung, Besonnenheit, Geduld und andere Tugenden. Aber die erste Aufgabe der Regierung Mazowiecki wird es sein, die Versorgung zu organisieren. Wir haben jetzt zwar freie Preise, aber nirgendwo private Geschäfte, wo man etwas erhalten kann.“ Von Mazowiecki und seinem Kabinett erwartet der Glemp-Be-rater, der vor einem Jahr ein Ministeramtsangebot des damaligen Regierungschefs und jetzigen KP-Vorsitzenden Mieczyslaw Rakows-kL ausgeschlagen hat, „viel Realitätssinn“.

Polen steht heute vor einer ähnlichen Situation wie Österreich Ende 1045. Nicht Brot, nur den Glauben an Österreich konnte damals die Regierung anbieten. Österreich hat daraus das Wunder seines Neuerstehens geschaffen. Das kann und wird auch Polen heute gelingen, selbst wenn es lange auf Westhilfe in Form von genügend hohen Krediten, Getreidelieferungen und Sachleistungen warten muß. Doch jetzt sind neue Perspektiven da. Anders als etwa in der DDR gibt es in Polen Hoffnung auf eine gesellschaftliche Umgestaltung, die Aussicht auf tatsächliche wirtschaftliche Verbesserungen - fern der propagandistisch-verlogenen Vergangenheit.

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