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Glaube auf Koreanisch

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Nächstes Jahr begeht die katholische Kirche Koreas ihr 200-Jahre-Gründungs- jubiläum. Höhepunkt wird ein Papstbesuch sein. Zur Kirche von Österreich gibt es viele Querverbindungen.

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Nächstes Jahr begeht die katholische Kirche Koreas ihr 200-Jahre-Gründungs- jubiläum. Höhepunkt wird ein Papstbesuch sein. Zur Kirche von Österreich gibt es viele Querverbindungen.

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Seoul dürfte über zehn Millionen Einwohner haben. Dazu kommen noch etliche andere Millionenstädte. Südkorea ist nicht sehr viel größer als Österreich, hat reichlich unbewohnbares Gebirge und etwa 37 Millionen Einwohner. Sie alle leben. Arbeiten. Das alte „Land der Morgenstille“ zeigt uns berückend schöne Bilder der herbstlichen Wälder und es zeigt uns eine Industrialisierung, die einem den Atem verschlägt. Es zeigt uns Zielstrebigkeit und

Fleiß, zugleich die winzigen, von einer Mauer umgebenen Gehöfte, Oasen der Großfamilien.

Noch nie in meinem Leben habe ich so oft Schuhe aus- und angezogen. Aber ohne Schuhe in den Räumen zu gehen, zu sitzen, zu sprechen — das ist mehr als das Ablegen eines Bekleidungsstük- kes. Es fördert die Verhaltenheit, das Ahnen um eine uralte Kultur, das Ertragen von blutigen Epochen und Gelassenheit. Und zugleich stoßen wir überall auf Leistungsberichte, Produktionspläne.

Auch in den Pfarren. In jeder Pfarre gibt es die Papiertafeln, auf denen die jeweils jüngsten Statistiken vorgewiesen werden. So und soviele Taufen, Kirchenbesucher, Mitglieder in den Vereinigungen, alles genau aufgegliedert, nach Geschlecht, Alter, dazu das Finanzaufkommen.

Man sagt, die südkoreanische Kirche sei die expansivste der ganzen Erde. Seit 1980 ist sie von 1,2 Millionen Katholiken auf 1,6 Millionen gewachsen. Und beileibe nicht mit flüchtigen Massentaufen. Langsam beginnt man. zu ahnen, daß diese Leute ein paar Dinge richtig machen, wahrscheinlich richtiger als wir.

Da ist zunächst die intensive Katechese. Es gibt keinen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen. Es dominiert die Erwachsenenkatechese. Sie lernen lange und intensiv. Sie wissen, daß der Glaube auch sagbar, weitersagbar sein muß. Sie wissen, daß in den Menschenfluten dieses Landes jemand eine gute eiserne Ration mithaben muß, sollte nicht seine Bekehrung zum Glauben der Kirche bald wieder verdunsten. Ich vermute, daß wir diesbezüglich einiges naiv verschlafen haben.

Dann gibt es die Taufe. Ich möchte jenen Abend zu den größten Erfahrungen meines Lebens zählen, als ich 54 Erwachsene — f a st alles Fabriksarbeiter—taufen durfte. Das Gesicht des Asiaten kann sehr verhalten, still, meditativ, ja fromm sein. Der Sprache dieser Gesichter konnte sich niemand entziehen - vor allem, weil wir wußten: Hier ist nicht bloß „Gesicht“, sondern Wahrheit!

Es waren kaum Verwandte an-

wėsend. Es hat niemand Nachteile, wenn er katholisch wird. Hohe Würdenträger des Staates sind bekennende Katholiken. Aber man wird meist als einzelner Katholik. Die Sippe geht ihre Wege und läßt auch den Getauften seine Wege gehen.

Die Taufe ist fast immer Beginn der Zugehörigkeit zu einer apostolischen Gemeinschaft. Wer in die Kirche aufgenommen wurde, soll neue Menschen zu ihr bewegen. Es gibt die verschiedensten Gemeinschaften, die wir auch bei uns kennen, vor allem die Legio Mariae. In unserer (der Grazer) Partnerdiözese Masan sind beinahe zehn Prozent aller Katholiken aktive Mitarbeiter der „Legio“. Wiederum: Wer allein bleibt, könnte zu leicht weggeschwemmt werden von den Millionenstädten, von der Fluktuation, vom Leistungskampf.

Die Priesterseminarien und No- viziate der Orden platzen aus den Nähten. Bei der obgenannten Katholikenzahl sind vor zwei Jahren 180 Alumnen eingetreten, im Vorjahr waren es bereits 260. Auf die Frage, warum es so sei, kommt fast immer die gleiche Antwort: weil es ein so gutes Laienapostolat gibt.

Die Katholiken sind nur wenige Prozente der Gesamtbevölke-

rung, wenn sie auch rapid zunehmen. Aber die Achtung vor der Kirche ist groß: nicht in viele Gruppen aufgespalten, sondern eine Weltkirche! Im nächsten Jahr wird der Papst nach Korea kommen. Es ist ein Ereignis sondergleichen zu erwarten.

Die koreanischen Katholiken sind sehr selbstbewußt, vielleicht aus der Mentalität dieses Volkes heraus, noch mehr aber, weil sie wissen, daß eine Kirche, die sich mausgrau verstecken will, allzu leicht den öffentlichen Ruf des Heiles, der Auferstehung, der endgültigen Zukunft Gottes verschweigt.

Eine heile Welt in der Landschaft der katholischen Weltkirche? Keineswegs! Sorgen und Probleme gibt es genug. Die politische Last des großen Kräftespiels auf der Erde ist hier mehr spürbar als woanders.

Einmal aber habe ich eine Antwort bekommen, die mir vieles an der Vitalität dieser Kirche erklärt: Der Koreaner muß sehr viel arbeiten. Die Freizeit ist gering. Die katholischen Kirchen sind natürlich kleine Inseln in dem Meer von Menschen. Aber da habe ich entdeckt, daß trotz alledem während des Tages Leute in der Kirche knien. Viel mehr als bei uns.

Kommen, beten und wieder gehen. Das ist für mich eine wichtige Antwort — etwas, was wir wieder lernen müssen.

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