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Glaube heute: Wettstreit der W eltreligionen!

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Wie kann man unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen noch glauben? Unter Bedingungen, die nicht von heute und nicht von gestern sind, deren Wurzeln vielmehr bis in den Beginn jenes weltumspannenden Prozesses zurückgreifen, den wir „Modernisierung“ nennen und der vor rund 300 Jahren im christlichen Abendland seinen Ausgang genommen hatte?

So etwa lautete - etwas zugespitzt - jene Frage, die bis vor kurzem alles systematische Nachdenken über die Religion einschließlich der Theologie fast vollständig beherrschte. „Säkularisierung“ war das zentrale Stichwort der Diskussion, in der es lediglich darum ging, Umfang und Tiefe des damit bezeichneten Vorgangs näher zu bestimmen und seine voraussehbaren Konsequenzen zu prognostizieren.

Nun scheint sich allerdings injüng- ster Zeit ein entscheidender Themen- und Paradigmawechsel abzuzeichnen. Das neueste Buch des amerikanischen Religionssoziologen Peter L. Berger („Der Zwang zur Häresie: Religion in der pluralistischen Gesellschaft“) ist hierfür ein untrügliches Indiz.

Das Thema „Modernität“, heißt es da klipp und klar, habe sich erschöpft. Auf der Tagesordnung von heute stehe das weit bedrängendere Problem der Auseinandersetzung mit der Fülle menschlicher Religionsmöglichkeiten, und zwar auf dem Hintergrund des heraufkommenden Wettstreits der großen Weltreligionen.

In der Tat verhält sich die christliche Theologie, ob protestantisch oder katholisch, ob liberal oder konservativ, großenteils immer noch so, als gäbe es auf der Welt nur die christlich-jüdische Tradition und als sei der moderne Sä- kularismus deren einziger Gesprächspartner. Für Berger ist diese Perspektive nicht nur hoffnungslos provinziell, sondern auch in hohem Maße steril: „Wenn irgend etwas uns heute betroffen macht, dann ist es die Armut der Modernität.“ .

Berger ist freilich kein eingefleischter Antimodernist, der das Rad der Geschichte zurückdrehen möchte. Die Anerkennung der Modernität als Tatsache ist für ihn eine Sache, die geistige Kapitulation vor ihr eine völlige andere. Bereits in seinem vor rund zehn Jahren erschienenen Buch „Auf den Spuren der Engel: Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz“ hat Berger die unbe

streitbare Tendenz des modernen Denkens, die religiöse Weitsicht schlicht für ungültig zu erklären, einer scharfsinnigen Kritik unterzogen.

Handelte es sich in den „Spuren der Engel“ zunächst um die ganz alltäglichen Erfahrungen, die auf eine transzendente Wirklichkeit hinzuweisen scheinen, so stehen im Mittelpunkt seines neuen Buches die spezifisch „religiösen“ Erfahrungen des „Übernatürlichen“ und des „Heiligen“, in denen sich der Einbruch einer ganz anderen Wirklichkeit manifestiert, die die normalen Gewißheiten unserer alltäglichen Lebenswelt von Grund auf erschüttern.

„Erfahrungen“ ist ohne Zweifel der eine der beiden zentralen Leitbegriffe dieses Buches. Der andere ist jener des „Pluralismus“. Nach Bergers Auffassung ist nämlich die spezifische Krise, in die die Religion im Zuge der Modernisierung geraten ist, in weit stärkerem Maß durch Pluralismus als durch Sä- kularität bedingt.

Aus Gründen, die für den Historiker und Sozialwissenschaftler auf der Hand liegen, wird in der pluralistischen Situation die Autorität ausnahmslos al-

ler religiösen Traditionen relativiert und eben dadurch auch in ihrem Geltungsanspruch unterminiert- dies nicht zuletzt auf Grund der gegenüber allen vormodernen Gesellschaften geradezu unwahrscheinlichen Vervielfachung menschlicher Wahlmöglichkeiten, die den Umfang dessen, was im Leben der Menschen als Schicksal oder Bestimmung erfahren wird, stark reduziert hat..

Auf die Religion bezogen, bedeutet diese die Moderne kennzeichnende „Bewegung vom Schicksal zur Wahl“, wie Berger sie nennt, daß der moderne Mensch nicht nur mit der Möglichkeit, sondern geradezu mit der Notwendigkeit konfrontiert ist, auch hinsichtlich seiner Glaubensvorstellungen eine Wahl zu treffen. Genau dies ist es, was Berger den „häretischen Imperativ“ nennt.

Das deutsche Wort Häresie geht - ungeachtet der spezielleren theologischen und kirchenrechtlichen Bedeu

tungen, die es im Laufe der Geschichte des Christentums angenommen hat - auf das griechische Verb „hairein“ zurück, das soviel wie „wählen“ bedeutet. „In der pluralistischen Situation ist die Häresie, einstmals das Gewerbe randständiger und exzentrischer Menschentypen, in der Tat universell geworden,“ lautete Bergers Grundthese.

Gegenüber illusionären Versuchen mit einer „deduktiven“ oder einer „reduktiven“ Option sieht Berger die einzige wirklich konstruktive Möglichkeit, auf dem Wege des Denkens wieder zu religiösen Affirmationen zu gelangen, in einer Methode, die er als „induktiv“ bezeichnet und die vor allem durch Schleiermacher und andere Vertreter der liberalen protestantischen Theologie entwickelt wurde.

Auch die induktive Methode stellt die Autorität der Tradition in Frage und ist eben darum zuweilen von den Reduktionen des theologischen Modernismus nur schwer zu unterscheiden. Aber sie tut dies nur deshalb, um sich durch die in ihr abgelagerten Schlacken Schritt für Schritt bis zum eigentlichen Kern der ihr zugrundeliegenden Erfahrungen zurückzutasten und dabei die Entdeckung zu machen, daß (Schleiermacher) „alle kalten Aschenreste einstmals glühende Ausstrahlungen eines inneren Feuers gewesen sind“.

Worum es ihm geht, ist der Versuch, das geistige Rüstzeug für eine ganz andere Konfrontation zu entwickeln, die uns in den kommenden Jahrzehnten zunehmend in Atem halten wird: die bevorstehende Konfrontation der großen Weltreligionen, die heute allein schon durch die modernen Kommunikationsmittel ermöglicht, ja geradezu erzwungen wird.

Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal von zwei unvermeidlichen Konfrontationen gesprochen, auf die sich unser endgültig planetarisch gewordenes Denken einlassen müsse: die Konfrontation mit der inzwischen weltweit gewordenen westlichen Aufklärung und ihren Folgen, unddieKonfrontation der großen Weltreligionen untereinan- ■der. Man wird ohne jede Übertreibung sagen dürfen, daß Peter L. Bergers neuestes Buch die bislang beste Einübung für die geistige Bewältigung dieser globalen Doppelkonfrontation darstellt.

DER ZWANG ZUR HÄRESIE. Von Peter L. Berger. S. Fischer, 1980. öS 184,80.

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