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Glaube macht solidarisch

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Zwischen religiösen und politischen Einstellungen besteht in Österreich ein überraschend hoher Zusammenhang: Die Daten für diese Analyse lieferte eine Umfrage.

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Zwischen religiösen und politischen Einstellungen besteht in Österreich ein überraschend hoher Zusammenhang: Die Daten für diese Analyse lieferte eine Umfrage.

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So sehr die Leute (und die politischen Programme) Religion/ Kirche und Politik trennen: Untergründig besteht zwischen religiösen Einstellungen und Handlungsmustern und den politischen ein überraschend hoher Zusammenhang.

Die Wählerpotentiale der österreichischen Parteien unterschei-

den sich erheblich in ihrer Religiosität und (damit verbunden) in ihrer Kirchlichkeit. Die ÖVP-na- hen tendieren zum regelmäßigen Kirchgang (52 Prozent); SPÖ- und FPÖ-nahe hingegen sind Saisonchristen, sie gehen vornehmlich an Festtagen (32 Prozent).

Ähnlich ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und Religiosität. Unter den ÖVP-nahen gibt es 52 Prozent sehr Religiöse, unter den Anhängern der SPÖ 21 Prozent, unter jenen der FPÖ 25 Prozent.

Gemeinsam ist den Ergebnissen die weltanschauliche Ähnlichkeit von SPÖ- und FPÖ-Wählem. Sollte dies historisches Erbe sein?

Erwiesenermaßen haben ja Sozialdemokraten und Liberale im deutschen Sprachraum schon seit 1875 (Parteitag zu Gotha in Deutschland) eine ähnliche Einstellung zu Religion und Kirche bezogen, nämlich die Trennung von Kirche und Staat sowie die Erklärung der Religion zur Privatsache.

Etwas von dieser „Privatisierung der Religion“ bei SPÖ- und FPO-nahen Personen zeigt sich auch darin, daß es unter ihnen mehr Personen mit einer kirchenschwachen starken Religiosität (also „unbehauster Religiosität“) gibt (österreichischer Durchschnitt: 21 Prozent; SPÖ: 24 Prozent, FPÖ: 34 Prozent).

Die Unterschiede in der Religiosität und Kirchlichkeit setzen sich erwartungsgemäß in den wichtigen „religiösen Items“ fort.

Wir greifen die Einstellung zum Leben nach dem Tod heraus, weil diese eine Schlüsselvariable ist.

Mit der Frage nach dem Leben nach dem Tod wird nämlich die „Reichweite der Wirklichkeit“ definiert. Wer sagt, „mit dem Tod ist alles aus“, lebt ja in einer viel begrenzteren Wirklichkeit als einer, für den der Tod der Übergang zu einem unbegrenzten (neuen) Leben ist.

Nennt man Personen, für die „mit dem Tod alles aus ist“, die

„Sterblichen“ und jene, die auf ein Leben nach dem Tod hoffen, die „Unsterblichen“ (was ja eine ungenaue Ausdrucksweise ist), und korreliert man diese Items mit dem politischen Wahlverhal- ten, dann kommt man zum spannenden Ergebnis, daß die ÖVP ein Sammelbecken für „Unsterbliche“ ist, während in der SPÖ und FPÖ die „Sterblichen“ die Mehrheit haben:

Auf ein Weiterleben nach dem Tod hoffen 75 Prozent aller ÖVP-

Wähler gegenüber 48 Prozent bei der SPÖ und 47 Prozent bei der FPÖ.

Dies hat Auswirkungen auf die Lebensgrundhaltungen. Da es nachweislich einen Zusammenhang zwischen der Reichweite der Wirklichkeit und dem Syndrom von Individualismus und Belohnungsstreben gibt, überrascht es nun nicht mehr, daß sich die Wählerpotentiale auch hinsichtlich dieses „Syndroms von Lebensarmut“ unterscheiden:

• Starker Individualismus:

ÖVP SPÖ FPÖ

29% 41% 39%

• Starkes Belohnungsstreben:

ÖVP SPÖ FPÖ

21% 26% 27%

Das Ergebnis ist paradox und für politisch Verantwortliche bedenkenswert. Wider die unbestreitbare Tradition der österreichischen Sozialdemokratie hinsichtlich der Förderung von (internationaler, also entgrenzter) Solidarität ist ausgerechnet bei SPÖ-nahen Wählern der Individualismus überdurchschnittlich ausgeprägt. Bei den Liberalen überrascht dies weniger.

Dagegen haben ÖVP-Wähler das stärkste Potential an Solidarität.

Zwei Fragen lassen sich hier stellen, die beide voraussetzen, daß die kommenden Probleme der österreichischen Gesellschaft nur dann friedlich gelöst werden können, wenn es gelingt, einen (freiwilligen) Konsumverzicht auf der Basis einer entgrenzten Solidarität zu leisten:

• Nützt die ÖVP die für eine solche Politik bessere Ausstattung ihres Wählerpotentials? Oder begünstigt sie über ihre Grundposi- tionen in der Wirtschaftspolitik nicht langfristig einen weiteren Zuwachs an Belohnungswünschen und Individualismus?

• Auf welche Weise kann die Grundidee der Solidarität zur Ausstattung von SPÖ-Wählem werden? Ist die gegenwärtige Politik von Sozialisten nicht längst so pragmatisch, steht sie nicht unter den vermeintlichen Sachzwängen jener (Wirtschafts-)Po- litik, welche den „Haben-Modus“ (E. Fromm) nährt und die Solidarität dämpft?

Solche tiefgründige Zusammenhänge zwischen weltanschaulichen und politischen Positionen haben natürlich auch Auswirkungen in konkreten gesellschaftspolitischen Sachfragen...

Der Autor ist Universitätsprofessor für Pa- storaltheologie in Passau. Der Beitrag ist ein auszugsweiser Vorabdruck aus der Arbeit „Leute - Religion, Kirche und Politik“, die Anfang März 1982 erscheint in: ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK ‘81. Hrsg. Khol/Stirnemann, Oldenburg, und Verlag für Geschichte und Politik, München/ Wien, 1981. Subskriptionspreis öS 298,-.

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