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Glaube und Technik in neuer Partnerschaft?

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Wie naturwissenschaftlicher und technischer Fortschritt mit christlichem Glauben und christlicher Ethik vereinbar sei, sollten 313 Naturwissenschaftler und Theologen aus aller Welt beantworten, während sie sich im Juli zu einer vom Weltkirchenrat organisierten zwölftägigen Konferenz trafen. In Massachussetts Institute of Technology in Cambridge, Amerikas angesehenster technischer Hochschule, wo bisher Theologen kaum je gesehen worden waren, referierten und diskutierten etwa 80 christliche Theologen verschiedener Konfessionen mit etwa 150 Naturwissenschaftlern und 80 Sozialwissenschaftlern. Auch je drei Buddhisten und Muslim zählten zu den Teilnehmern.

Viele Delegierte betrachteten das Treffen als eine Art von Friedenskonferenz zwischen Glauben und Naturwissenschaften, deren gegenseitiges Verhältnis lange Zeit von Mißtrauen und nicht selten von offener Feindseligkeit beherrscht worden war, seit vor vier Jahrhunderten die moderne empirische Forschung begonnen hatte, die Welträtsel zu lösen.

„Beide sind in der Vergangenheit unverzeihlich arrogant gewesen“, erklärte der Metropolit der syrisch-orthodoxen Kirche in Indien, Paulos Gregorios, „sie wagten zu denken, jede von beiden besitze den ausschließlichen Zutritt zur Kenntnis der Wirklichkeit und die Fähigkeit, die Wahrheit wörtlich und endgültig festzustellen. Aber weder für den Glauben noch für die Wissenschaft würde ich jetzt den Anspruch erheben, daß sie die Wirklichkeit kennen, wie sie ist.“

Humberto Kardinal Medeiros, der katholische Erzbischof von Boston, zu dessen Amtsbereich Cambridge gehört, versicherte in seiner Begrüßung: „Ein christlicher Glaube, der die Wunder der wissenschaftlichen Technologie, Medizin und Energie ignoriert oder mißachtet, ist des Namens Religion nicht würdig. Aber eine Technologie, die Fragen der christlichen Ethik ignoriert oder mißachtet, besonders den Wert, den sie dem Menschen zuschreibt, wird schnell die Erde zu einer Wüste reduzieren, die Person zu einem Automaten, die Nächstenliebe zur geplanten Kollektivisierung, und sie wird Tod einführen, wo Gott Leben wünscht.“

Den gleichen Willen zur fruchtbaren Koexistenz bezeugten die Wissenschaftler. Man forderte einander auf, die Grenzen zwischen Glauben und Wissenschaft ziehend die Legitimität des anderen Bereichs anzuerkennen.

Allerdings gehörten zum Kreis der geladenen Gäste weder fundamentalistische Theologen, die etwa die Evolutionstheorie und damit die moderne Forschung angegriffen oder die buchstäbliche Faktizität der Bibel verteidigt hätten, wie es zum Credo einer beträchtlichen Zahl amerikanischer Christen gehört, noch waren- atheistische Naturwissenschaftler in Cambridge zur Stelle.

Unter den Vorschlägen für gegenseitiges Verständnis erregte die „ökologische“ Theologie des australischen Biologen Charles Birch besondere Beachtung. Die Naturwissenschaft habe eine mechanistische Weltanschauung^ geschaffen, die das Universum und lebende Organismen lediglich als Maschinen betrachtet, und die christliche Theologie habe sich jenem Leitbild „unbehaglich angepaßt“.

Dagegen verkündete Birch die These seiner Umwelttheologie: „Die 'neue Partnerschaft des Glaubens und der Naturwissenschaft, die im Entstehen ist, erkennt die Einheit der Schöpfung an, das heißt, die Einheit von Natur, Menschheit und Gott. Sie nimmt sowohl die naturwissenschaftlichen Einsichten wie die besonderen menschlichen Eigenschaften ernst, in dem Wissenschaft und

Religion ihre unendliche Verantwortung für alles Leben anerkennen.“

Nach der Koexistenz also eine „Partnerschaft“ der Theologen und Naturwissenschaftler, die gemeinsame menschliche Bedürfnisse befriedigt - dies war der Tenor der Debatte. „Vielleicht in der Uberzeugung, daß der Glaube zu wichtig ist, um den Kirchen überlassen zu werden und ebenso daß die Wissenschaft zu wichtig ist, um den Wissenschaftlern überlassen zu bleiben“, so heißt es im Schlußdokument der Konferenz, und „daß Glaube ebenso wie Wissenschaft von der auf sie einwirkenden Umwelt erleuchtet werden.“ Damit begann der große Schritt vom theoretischen Gespräch zur konkreten Politik.

Bei dem Unterfangen, christliche Stellungnahmen zu spezifischen gesellschaftlichen Problemen unserer Tage - von der biologischen Manipulation bis zum Umweltschutz - zu formulieren, konnten sich selten Physiker und Soziologen ebenso wie Theologen auf eine gemeinsame Haltung einigen, so daß die Konferenz oft einem politischen Gremium ähnelte, das Fragen“ der angewandten Ethik mit Mehrheitsbeschlüssen entschied.

Besonders problematisch erwies sich jene Politisierung, als die Konferenz ihre Resolution zur Kernenergie beschloß. Die Majorität des damit befaßten Ausschusses verlangte ein internationales Moratorium, währenddessen die Produktion von Kernenergie und der Bau von Nuklearwerken eingestellt werden müsse, bis künftige Forschungen die Risken und Kosten genau feststellen könnten.

Gegner dieser antinuklearen Zielsetzung wandten ein, solch ein Bannstrahl gegen die Kernenergie werde die Dritte Welt am empfindlichsten treffen. Als Kompromiß wurde dann die Begrenzung jenes Moratoriums auf fünf Jahre angenommen. Dann solle „das Volk“ an der Entscheidung teilnehmend bestimmen, ob es Kernenergie wolle oder nicht.

Besonders militante - und keineswegs nur pazifistische - Akzente setzte der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Philip Potter. Schon in seiner Eröffnungsrede klagte der Baptistenprediger aus Jamaica Naturwissenschaft und Technik an, sie hätten ihren Anspruch auf geistige Freiheit aufgegeben, da sie „zur Seite derer neigten, die die wirtschaftliche Macht besitzen“. Deshalb definierte er als vordringliche Aufgabe der Konferenz, Wege zu finden, um dem Volk einen größeren Anteil an den Entscheidungen zuzugestehen, „wie Wissenschaft anzuwenden und zu gebrauchen“ sei. Einige Wissenschaftler zeigten sich besorgt, daß solch eine „partizipatorische“ Ordnung, Zielsetzung und Nutzung wissenschaftlicher Forschung plebiszi-tären Majoritäten unterwerfen würde und sie damit in schwerere Ketten legten als ihre angeblichen heutigen Schutzherrn.

Robert Brown, ein australischer Astronom, verteidigte die Wissenschaft: Ihre Beziehungen zur Macht, wie Potter und andere sie denunzierten, könnten ihre Grundwerte ebenso wenig diskreditieren wie der früher häufig erhobene gleiche Vorwurf gegen die Kirchen deren Glauben außer Kraft setzen könne.

Ob sich die kirchlichen und wissenschaftlichen Advokaten der „par-tizipatorischen und haltbaren Ordnung“, der die Konferenz gewidmet war, nicht selber- unbewußt und voller guten Willens - mit einer neuen Macht oder zumindest einer derzeit mächtigen Ideologie des Globalsozialismus gleichschalten - diese Frage wurde in Cambridge nicht einmal gesteht.

(Auszugsweise aus „Deutsche Zeitung - Christ und Welt“)

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