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Glaube und Zweifel

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Leonard Bernsteins „Mass“ ist keine Darstellung der Messe: Thematisch nicht (es geht nicht um das Mysterium des Todes und der Auferstehung Chri­sti). Und auch im äußeren Aufbau nicht. Bernstein nimmt nur verschie­dene Texte der Messe, um an ihnen Fragen über Unschuld und Schuld, Schöpfung und Mensch, Glaube und Zweifel, Gott und Sinn des Lebens in Ausdrucksformen (Sprache, Musik, Tanz) unserer Zeit eindringlich darzu­stellen. Deshalb gehen auch jene Kriti­ker fehl, die darin die katholische Messe falsch gedeutet oder ihre Riten nicht genau wiedergegeben finden.

Bernstein hat zu seiner Partitur ge­schrieben: „Was immer ich zu sagen habe, habe ich geschrieben. Möge jener es auslegen, wie er es empfindet.“ In diesem Sinn möchte ich persönliche Eindrücke über dieses Werk skizzen­haft darlegen.

„Einfach’ Lied“: Damit beginnt das Geschehen auf der Bühne. „Sing Gott ein einfach’ Lied ..., denn nichts ist so einfach wie Gott.“ Wo der Mensch Gott in Einfalt loben und lieben kann, ist für Bernstein das Paradies. Der Mensch, vielfach in Schuld verstrickt, hat das Paradies verloren.

Confiteor („Ich bekenne Golt“, sollte es in der Übersetzung richtig hei­ßen, nicht „Ich bekenne mich zu Gott!“): Der Mensch findet aus der Schuld nicht mehr heraus. „Was ich sag’, fühl’ ich nie - was ich fühl’, zeig’ ich nicht - was ich zeig’, ist nicht echt, doch was echt, Herr, weiß ich nie ..

„Es naht die Zeit für Gottes Wort“: Menschen, Ideale, Hoffnungen sind wie eingekerkert. Wie unübersteigbare Mauern trennt der Haß die Menschen. Aber für Gottes Wort gibt es keinen Kerker, keine einengenden Mauern, Es stand an der Wiege des Geschehens, und wir erwarten es heute, „wir warten - es naht Gottes Wort!“

Credo - non credo! Während vom Tonband (Symbol für ritualisierte Li­turgie) das lateinische Credo erklingt, setzen sich „lebendige“ Menschen mit einzelnen Glaubenswahrheiten heraus­fordernd auseinander. Menschwer­dung: „Ich sage dir, Herr, du wurdest nie ein Mensch wie wir! Es stand dir frei, wann du lebst, wann du stirbst, um dann gleich wieder Gott zu sein.“

Oder der Zweifel an der „endlosen Welt“ (non erit finis): „Siehst du nicht, Herr, es ist das Ende der Welt! Hast du die Wende mit Trauer geahnt? Hast du das Ende nicht selber geplant?“

Oder die Frage nach dem Glauben überhaupt: Glauben kann nur, wer sich selbst angenommen weiß. „Ich glaub’ gern an jeden Gott, der greifbar ist wie ich.“ Gibt es einen Gott, wo ist er, weiß er um mich, verantwortet er mein Le­ben? „Ich glaub’ fest an Gott, jedoch glaubt auch Gott an mich?“

Agnus Dei: Der Zelebrant, vom jun­gen Volk in die Verkünder- und Litur- genrolle gedrängt, wird über den Altar gebeugt zum Sinnbild des Sünden­bocks, des Lammes Gottes. Aus­schließlich dringen mit liturgischen Worten („qui tollis peccata mundi“, .„miserere nobis“, „dona nobis pa- cem“) die Menschen auf den Zelebran­ten ein.

Sie wollen alle Schuld auf ihn laden, suchen bei ihm Erlösung, wollen ihn zwingen, ihnen jenen Frieden zu geben, nach dem sie sich sehnen. Er kann es nicht. Er wirft alles von sich, was Zei­chen seiner Priesterwürde und Zeichen des Heiligen unter den Menschen ist, und flieht. Da sinken alle wie tot hin und erstarren.

„Einfach’ Lied“. Mitten in der Zer­störung und im Chaos beginnt ein Knabe wieder das einfache Lied „Lauda“. Es steckt an, weckt auf, bis alle in einen mächtigen Chor einstim­men. Nicht das Ringen mit Gott, nicht der bittende Schrei der Menschen, son­dern das schlichte Lob (=Gebet) gibt Hoffnung, belebt, läßt Schöpfung und eigenes Dasein wieder sinnhaft erschei­nen, gibt Kraft, an den Frieden zu glau­ben und ihn weiterzugeben.

Noch viele andere Fragen haben mich nach dieser Vorstellung nicht los­gelassen: Ritual und gelebter Glaube, Liturgie und Verkündigung in Sprache und Stil unserer Zeit, Berufung, Rolle, Anforderung und Überforderung des Priesters u. a. m.

Die Musik mögen andere beurteilen, obwohl die Beherrschung so vieler Stile (Zeichen einer babylonischen Spra­chenverwirrung unserer Zeit?) allein schon genial ist. Die szenische Darstel­lung hat das Verständnis des Vorha­bens Bernsteins sicher erleichtert. Man darf aber nicht nur schauen und hören, man muß unbedingt den Text lesen.

Für Bernstein ist die Aussage dieses Werkes, davon bin ich überzeugt, eine zutiefst religiöse. Wer aufmerksam sucht, findet wohl so manche persönli­che Frage darin wieder. Wer weiter denkt, wird aber auch Antworten darin finden.

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