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Glaube wirksam im Gebet

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Wir wissen, daß heute — wie so vieles andere — auch das Wesen des Gebetes umstritten ist. Einerseits wird es von vielen einfach mit tätiger Nächstenliebe gleichgesetzt, anderseits sehen so manche das Gebet bloß als konzentrierte Versenkung ins eigene Ich, um dort Gott oder „das Göttliche” zu finden. Keine dieser beiden Extreme wird der Wirklichkeit des Gebetes gerecht, das sowohl aus dar Liebe zu Gott notwendigerweise zu einem Wirken für den Nächsten in Liebe führen muß, als auch der Stille bedarf und der Konzentration auf das eigene Innere, in dem Gott mit uns in Verbindung tritt. In diesen beiden Aspekten wird das Gebet zu einer Macht, die in der Welt wirkt und so auch zu einem geschichtsformenden Faktor wird. Christus ermahnte die Seinen, als er von der kommenden Katastrophe Jerusalems sprach, zu beten, damit ihre Flucht aus der Stadt nicht in den Winter oder auf den Sabbat falle (Matth. 24, 20), also offenbar eine geheimnisvolle Möglichkeit des Gebetes andeutend, auf den Lauf von Geschehnissen Einfluß zu nehmen. Paulus verlangte, daß Bitten, Gebet, Fürbitten und Danksagungen für alle Menschen verrichtet würden, für Könige und Obrigkeiten, damit „wir ein stilles und ruhiges Leben führen können (1. Tim. 2, 1, 2)”, wiederum das Gebet als sozial, ja politisch wirkende Kraft zeigend.

Auf Grund dieser Überlieferung hat die Kirche immer wieder ihr Gebet auch in Anliegen der ganzen Christenheit in politischen und sozialen Nöten zu Gott erhoben, und bekanntlich wurden manche Siege christlicher Heere als Antwort Gottes auf Gebete der Gläubigen gedeutet, etwa der Sieg von Lepanto 1571 oder die Befreiung Wiens im Jahr 1683. Natürlich gilt heute vielen eine solche Auffassung als nicht mehr „zeitgemäß”, natürlich kann man sich über die Frage der Wirksamkeit des Gebetes nicht mit rationalen Argumenten auseinandersetzen, aber jedenfalls steht das Vertrauen auf die Kraft des Gebetes auch im historischen Geschehen durchaus im Einklang mit den Worten Christi und mit der kirchlichen Überlieferung durch die Jahrhunderte. Aus diesem Vertrauen entstand bei uns zu Lande im Jahr 1947 die Gebetsbewegung, die seither als „Rosenkranz-Sühnekreuzzug” viele Hunderttausende auf der ganzen Welt erfaßte. Das erste Ziel dieser Bewegung war die Wiedererlangung der Freiheit und Selbständigkeit Österreichs, die am 15. Mai 1955 erlangt wurde, unter Umständen, die rein rationalistisch nicht ganz zu erklären sind. Das zweite Ziel des Rosenkranz-Sühnekreuzzuges wurde daraufhin ein globales: Frieden mit Gott und Frieden in der Welt.

Der Begründer der Bewegung, Pater Petrus Pavlicek OFM, verstand es durch die Ausstrahlung seiner charismatischen Persönlichkeit, die Massen der Gläubigen zu überzeugen, daß das gemeinsame Gebet eine Macht ist, die „die Barmherzigkeit Gottes in Bewegung setzt”. Eingedenk der von der Kirche anerkannten Erscheinungen der heiligen Maria in La Salette, Lourdes und Fätima, bei denen die Aller- seligste Jungfrau zu Rosenkranzgebet und Buße aufforderte, um der ganzen Welt drohendes Unheil abzuwenden, begann Pater Petrus mit monatlichen Sühneandachten in der Wiener Franziskanerkirche. Über nächtliche Anbetung vor dem Allerheiligsten und Wallfahrten mit der Statue Unserer Lieben Frau von Fätima führten sie zu Großkundgebungen der katholischen Gläubigen, die jedesmal am Mariä-Namen-Fest, am 12. September, gefeiert wurden, am Gedächtnistag der Befreiung Wiens im Jahr 1683.

Heute gilt für diese Veranstaltung, was Kardinal Dr. König am 8. September 1974 in der Wiener Stadthalle sagte: „Wir haben in Wien und Österreich keine Kundgebung der Katholiken, die sich mit dieser jährlich wachsenden Feier vergleichen könnte.” Die Verbreitung des Sühne- kreuzzuges vollzog sich in drei Etappen. Die erste dauerte von 1947 bis 1955 und war auf Österreich beschränkt; 520.000 Gläubige schlossen sich der Bewegung an. Die zweite begann im Jahr 1961, als der Bischof von Regensburg, Dr. Rudolf Gräber, nach der Errichtung der Berliner Mauer auf das Beispiel der österreichischen Katholiken hinwies und die deutschen Katholiken aufforderte, sich dem „Rosenkranz-Sühnekreuzzug” anzuschließen. Hundert- tausende folgten in kurzer Zeit seinem Aufruf. Nun steht die Bewegung in der dritten Etappe ihres Wachstums; sie breitet sich auf der ganzen Welt aus, zumal in den Mis- sionsländem. Heute gehören in Österreich 743.000 Gläubige der Bewegung an, in Deutschland 809.000 und in den übrigen Ländern 148.000, also insgesamt 1,700.000.

Pater Pavlioek begnügte sich keineswegs damit, imposante Kundgebungen zu veranstalten. Er ist sich klar, daß nie die Organisation allein, daß nie Reden allein — und wären sie noch so zündend — die aus dem Innern wirksame Kraft der mit Gott durch das Gebet verbundenen Seelen ersetzen können. So wandte er von Anfang an sein Augenmerk auf die seelsorgliche Betreuung der Mitglieder des Sühnekreuzzuges. Seine Quartalschrift „Betendes Gottesvolk”, die in Kürze die Ausgabe Nr. 100 erreicht — wird in einer Auflage von 540.000 gedruckt. Das trug dazu bei, daß seit dem Beginn dieser großen Gebetsbewegung so manche geistlichen Berufe aus ihr hervorgegangen sind, und daß vielen geholfen wurde, ihren Glauben an Christus, ihre Hoffnung auf unseren Erlöser und ihre Liebe zu unserem Herrn und Gott in einer Weise zu stärken, daß sie selber erstaunt und dankbar das Wirken der göttlichen Gnade in sich wahmahmen. Nicht zuletzt hat diese Bewegung — trotz allem Totschweigen durch die Massenmedien — ihre Mitglieder in dem Gedanken gestärkt, mit vielen Tausenden auf der ganzen Welt verbunden zu sein, und dieses Bewußtsein trägt sie und spornt sie an.

Der kommende Katholikentag in Wien steht ebenso wie das Heilige Jahr 1975 unter einem Wart des heiligen Paulus: „Laßt euch mit Gott versöhnen (2. Kol. 5, 20).” Die Mitglieder des Rosenkranz-Sühnekreuzzuges sind sich bewußt, daß weder der Katholikentag noch das Heilige Jahr dauernde gute Früchte bringen werden, wenn sich die Gläubigen nicht durch das Gebet darauf vorbereiten. Wo das Gebet fehlt, bleibt jede — auch kirchliche Aktivität — nur Veranstaltung, Diskussion, Show ohne tiefere Wirkung. Von Anbeginn hat der Rosenkranz-Sühnekreuzzug der Aufforderung zur Versöhnung entsprochen, denn für den Frieden in der Welt zu wirken, ist im Grunde dasselbe wie das Wirken für die Versöhnung mit Gott und unter den Menschen. Es wird heute so viel von den Aufgaben und der Verantwortung des Laien in der Kirche gesprochen — die Mitglieder des Sühnekreuz zuges sind sich dieser

Verantwortung bewußt. Sie beten wenigstens ein Gesetzchen des Rosenkranzes täglich für den Frieden mit Gott und den Frieden in der Welt, eingedenk, daß sie auch andere zum Frieden mit Gott bringen sollen, was sehr oft bedeutet: zur Umkehr, zur Buße. Die Beter des Rosenkranzes bemühen sich auch, immer mehr Mitglieder für ihre große Bewegung zu gewinnen, in der sie ein gewaltiges, sich über die ganze Welt spannendes geistiges Gerüst sehen, einen Dynamo geistiger Kräfte, gespeist von der göttlichen Gnade. Sie beten, daß alle, die den Ruf Gottes spüren, auf diese Weise für die Stärkung des Guten in der Welt beitragen und damit auch zur Überwindung des Bösen. Viele haben sich angeschlossen und helfen durch Gebet und Spenden, und auch das ist merkwürdig: daß die göttliche Vorsehung jene nie verläßt, die ihr Vertrauen ganz ‘in sie setzen. Immer noch wurden die gewaltigen Geldmittel für die notwendigen Auslagen aufge bracht für eine Bewegung, die ganz im Geist des armen Heiligen, Franz von Assisi, geführt wird.

Vor einiger Zeit machte in einer Podiumsdiskussion ein als Bestsellerautor bekannter Priester eine spöttische Bemerkung über den Rosenkranz-Sühnekreuzzug. Aus der Bemerkung klang Verachtung für die Einfalt primitiver Gläubiger, Verachtung für simple alte Frauen, Verachtung des Intellektuellen für den einfältigen Köhlerglauben. Eine solche Verachtung steht nicht im Einklang mit dem Geist Jesu, der das kleine Opfer der Witwe pries, der nie über Alte und Einfältige spottete und der uns lehrte, daß der Glaube Berge versetzen kann. Vielleicht gehört auch der Rosenkranz- Sühnekreuzzug zu jenen, von denen Christus sagte: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du das vor den Weisen und Klugen verborgen, den Einfältigen aber geoffenbart hast (Matth. 11, 25).”

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