Abschied von den USA
Markus Krah über seinen USA-Aufenthalt und das Nebeneinander religiöser Kulturen.
Markus Krah über seinen USA-Aufenthalt und das Nebeneinander religiöser Kulturen.
Nach gut eineinhalb Jahren geht mein Forschungsaufenthalt in den USA zu Ende. Welche Glaubensfragen habe ich mir und anderen gestellt? – Die Einsichten zwingen zum Wechsel von Perspektiven, vor allem im Kontrast zu europäischen Sichtweisen. In meinem wissenschaftlichen Umfeld ist ein Umdenken erkennbar, das die amerikanischen Juden als privilegierte weiße Gruppe sieht und nach ihrer Verantwortung für Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen und anderen Gruppen fragt. Wo bleibt da das Bild von Juden als einer verwundbaren Minderheit?
Auch wenn der Antisemitismus in den USA immer weiter ins Bewusstsein rückt, sehen sich immer mehr Juden als Teil der weißen Mehrheit: kulturell eigen, aber nicht marginal. Und wie definiert sich die jüdische Gemeinschaft dann innerhalb der weißen Mehrheit? Als eine Religion neben anderen? – Mein Glaubensbekenntnis lautet, dass der christlich geprägte Begriff der Religion wichtige Aspekte des Judentums ausblendet: das Selbstverständnis, das sich durch die gemeinsame historische Erfahrung definiert und in kulturellen Faktoren wie Sprache, Humor und Essen ausdrückt.
Eine solche, über Religion hinausgehende Gruppenidentität ist in den USA eher akzeptiert als in Europa. Dennoch bleibt Religion der wichtigste Faktor, der jüdische von anderen Amerikanern unterscheidet. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man „Religion“ als Kern einer breiteren Kultur versteht. Ein solches (Selbst-)Verständnis des Judentums würde auch nach Europa passen. So könnte das historisch zementierte Bild von Mehrheiten und Minderheiten aufgebrochen und durch ein Nebeneinander religiöser Kulturen ersetzt werden. Dass dieses Ideal in den USA nicht immer eingelöst ist, habe ich neu gelernt; nun bin ich wieder gespannt auf das Ringen zwischen Ideal und Wirklichkeit in Europa.
Der Autor forscht zu Jewish Studies an der University of Pennsylvania, Philadelphia/USA.
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