Andre Zeiten, andre Drachen

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Ines Charlotte Knoll über den Grund des Daseins und das Steigen der Drachen.

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Ines Charlotte Knoll über den Grund des Daseins und das Steigen der Drachen.

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Die Drachen steigen wieder auf, übersteigen dies alles, was ist: Gedankentreppen, Seelenstufen, alle gesteigerte Verworrenheit der Zeit. Das stille bewegte Herbstbild des flatternden Flugwesens mag auf geradezu mystische Weise etwas tief ansprechen. Ein Ursprüngliches, das uns kommt von allen Fabelwesen, die sich in ihrer Gesamtheit wohl auf die Suche machen nach dem Grund. Ja, es könnte so sein, das hohe Fliegen der Drachen hat mit dem Grund des Daseins zu tun. Es weist uns in geheimer Weise auf ein den Menschen und die Welt Anredendes.

In diesem Sinne ist für mich der in diesen Tagen verstorbene Theologe Eberhard Jüngel der Mensch, der mir die Drachen alle erklären kann. Und wenn Christian Morgenstern mir die Not der Welt in eine offene Frage wirft: Andre Zeiten, andre Drachen,/ andre Drachen, andre Märchen,/ andre Märchen, andre Mütter,/ andre Mütter, andre Jugend,/ andre Jugend, andre Männer … – und ich in einem großen gemeinsamen Wir schon nicht mehr weiß, warum die Welt sich so weiter dreht, als sei das verabredete Ziel die Demonstration irgendeiner Macht, sei das nun in Impfdiskussionen, seien es die Kampfflieger, die Klima-AngstLeugner oder die sonderbaren Gestalten und Gewalten mit ihrem Überflieger-Gehabe.

In dem schönen Buch „Gott als Geheimnis der Welt“ sagt Jüngel, dass der Mensch sein Dasein und das Sein seiner Welt „als ein dem Nichts entzogenes Sein“ erfahre. Gott ermöglicht diese Erfahrung als das „anredende Wort“. Dieses Wort des Zeitwunders, meine ich, ihm tief dankbar, mit Jüngel, „erschließt allererst Gegenwart“, es unterscheidet sich von den vorhandenen Dingen und Verhältnissen dadurch, dass es das Hiersein übertrifft. „Wo die Schwierigkeit wächst, steigern sich auch die Möglichkeiten.“ Das Steigen der Drachen ist mir ein Gleichnis hierfür. Danke.

Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i.R.

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