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Büffeljagd

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Die Sioux-Indianer waren einmal große Büffeljäger. Als ihnen ihr Jagdgebiet von den Weißen genommen wurde, verloren sie nicht nur die Quelle ihres Lebensunterhalts, sondern auch ihre Identität als Jäger. Die Folge war eine allgemeine Apathie, besonders bei den jungen Sioux. Ihre Eltern blieben dabei, sie nach alter Jäger-Tradition zu erziehen.

So versuchte der amerikanische Psychologe Erikson die moderne Jugendproblematik zu erklären. Es sind die Probleme der als Büffeljäger Erzogenen ohne Büffel. Die Jugend - sei es in Wien, sei es in Amsterdam - wird oft erzogen für eine Welt, die es für sie nie geben wird. Der Beruf, zu dem sie erzogen wird, findet oft nicht statt. Das Ausmaß hier ist noch nicht so schlimm wie in den Niederlanden, aber die Aussichtslosigkeit für Arbeitslose nimmt zu. Niederländische Untersuchungen ergeben, daß achtzig Prozent der arbeitslosen Jugend sich selbst, nicht der Gesellschaft die Schuld dafür zuweist. Es bleibt aber der Wunsch nach „ha-ving a good time”. Einer der Fluchtwege heißt „Ecstasy”, die freundlich-machende Modepille der neunziger Jahre.

Auch die Kirche kennt heute das Problem der Büffeljäger ohne Büffel. Früher, in meiner Jugend in der niederländischen katholischen Kirche, gab es Büffel genug. „Katholische Emanzipation” lautete der Jagdruf. Auch später war „Kirche in der Welt von heute” nicht nur der Name eines Konzilsdokuments, sondern ein Programm vieler Auseinandersetzungen. Heute wird eher „Kirche intern” angesagt. Junge Seminaristen und Ordensangehörige sind oft äußerst liebenswürdig. Aber stellen sie sich den Problemen der Zeit? Lesen sie? Nehmen sie an Symposien teil? Man sieht sie dort nie. Sie nehmen wahrscheinlich kein Ecstasy, aber kann das viele Meditieren nicht auch eine Flucht sein? Von den neu entstandenen selbstgebastelten religiösen Gruppen, den selbstgestrickten Orden hört man kaum ein gesellschaftskritisches Wort. „Sich wohl fühlen” hört man oft als Lebenswunsch junger Theologen. Ich wünsche ihnen aber ein unruhiges Jägerherz und die Begegnung mit vielen Büffeln.

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