Der Trauertag des 7. Oktober: Tote und Tage zählen
Was ist der 7. Oktober gegen all das Leid, das ihm folgte? Der Philosoph Asher D. Biemann über Geschichte, die sich gegen Vergleiche sträubt.
Was ist der 7. Oktober gegen all das Leid, das ihm folgte? Der Philosoph Asher D. Biemann über Geschichte, die sich gegen Vergleiche sträubt.
Demnächst jährt sich der 7. Oktober, ein neuer Trauertag unter den Trauertagen im jüdischen Kalender. Aber schon scheint es, als sei dieser Tag heimlich verjährt. Verdrängt, weil überschattet von einer anderen menschlichen Katastrophe. Man zählt die Tage, die Toten und spricht: Was ist dieser Trauertag schon gegen all das Leid, das ihm folgte? Was sind diese Ermordeten, Gemarterten, Entführten schon gegen die abertausenden toten Kinder in der Hölle von Gaza? Wo bleiben Maß und Gerechtigkeit?
Als der jüdische Philosoph Vladimir Jankélévitch vor langer Zeit vom „Unverjährbaren“ sprach, da waren die Wunden der Schoa noch offen, die Schuld noch schweigsam, die Täter noch unter uns. Und schon hieß es, diese Taten seien verjährt, gesühnt durch die zerbombten Städte des einst tausendjährigen Reiches, wiedergutgemacht durch die Toten begraben unter Bergen von Schutt, durch den Hunger der unschuldigen Mütter und Kinder. Dagegen richtete sich der Philosoph: Die Tragik von Dresden sei nicht dieselbe wie die Tragik von Auschwitz, die Opfer eines Krieges nicht dieselben wie die Opfer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Dort Wiederaufbau, hier unverjährbare Wunde.
Geschichte sträubt sich gegen Vergleiche. Umso wichtiger ist es, die Unterschiede auszusprechen. Es ist nicht genug, Tote und Tage zu zählen. Zahlen allein und Trümmerfelder sagen noch nichts über das Weltbild, das sie verschuldet hat. Was für eine Welt, welche Zukunft wird aus einem Krieg gewollt? Was für eine Welt erträumten die Schlächter vom 7. Oktober? Sie schulden uns Antwort. Und dennoch müssen wir, in diesem schamlosen Schweigen, im unsagbaren Leiden, den Menschen wiederfinden und lernen, gemeinsam, füreinander zu trauern. „Denn diese Agonie“, schrieb Jankélévitch, „wird dauern bis ans Ende aller Tage.“