Die Kehrseite der Mobilität

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Ich stecke in den Vorbereitungen, um mit Kind und Kegel für ein knappes Jahr zum Forschen in die USA zu ziehen. Mobilität ist nicht nur ein wichtiger Aspekt des akademischen Berufslebens. Sie ist zu einem Synonym für Lebensweise und Erfolg gut ausgebildeter Menschen in reichen Ländern geworden. Mobilität ist ein Charakteristikum der Moderne. Manche (wie der russisch-amerikanische Historiker Yuri Slezkine) vertreten die These, dass Juden exemplarisch für die Moderne stehen: Sie sind mobil, da eher in Dienstleistungsberufen vertreten und nicht an Grund und Boden gebunden, als ewige Außenseiter kaum verwurzelt und daher flexibel.

Soviel an dieser These stimmt, ist sie doch überzeichnet und droht die Kehrseite von Mobilität auszublenden: Juden fanden sich jahrhundertelang in „freien“ Berufen, weil sie nicht Mitglied in Zünften werden und vielerorts kein Land besitzen durften. Wurzeln konnten sie oft nicht schlagen, weil sie bis ins 20. Jahrhundert immer wieder vertrieben wurden. Mobilität war also erzwungen und belastend, weil sich Juden trotz widriger Umstände an vielen Orten sehr wohl verwurzelt fühlten.

Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zur Mobilität von Millionen Flüchtlingen, die heute (wie ich, aber aus existenzieller Not) ihre Familie aus der vertrauten Heimat an einen neuen Ort verpflanzen und ihre Habseligkeiten auf das beschränken, was sie tragen können. Wenn solche Fluchtbewegungen typisch für die moderne Welt sind, stehen diese Syrerinnen, Afghanen und Libyerinnen für die heutige Moderne. Das nützt ihnen nichts auf einem Schlauchboot im Mittelmeer oder im Angesicht von Ausländerfeindlichkeit. Aber alle, die wie ich freiwillig umziehen oder im vergangenen Sommer gereist sind, sollte diese Kehrseite der Gleichung Mobilität = Moderne nachdenklich machen.

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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