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Humanität im Land der Rassisten

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Fast ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, vom Aufstieg bis zum Niedergang des einzigen modernen Staates der Erde, der die Prinzipien des „wissenschaftlichen” Bassismus über Jahrzehnte hinweg weitgehend verwirklichte. Im Unterschied zu Nazismus und Nazideutschland hatte Südafrika die Mehrheit seiner Bevölkerung als „Untermenschen” abgestempelt. Der Schriftsteller J. M. Coetzee gehört zu den südafrikanischen Intellektuellen, welche, wie die Gordimer, wie Fugard und Breyten-bach, den moralischen Widerstand gegen die Apartheid in ihren Boma-nen mit großem Erfolg leisteten „Eiserne Zeit” ist einer seiner besten Bo-mane.

Elizabeth Curren hat erfahren, daß sie nun bald an ihrem Krebs sterben wird. „Das ändert ihr ganzes Leben” zu sagen, wäre gleichzeitig richtig und völlig daneben, meinte man damit eine alsbaldige Vorbereitung auf den Tod. Denn Elizabeth beginnt an diesem Tag ein Tagebuch für ihre in Amerika lebende 'Tochter anzulegen und entdeckt einen alten, unter-standslosen Schwarzen in ihrem Garten, der sich dort aus Kartons einen Unterschlupf hergerichtet hat. Sie jagt ihn weg, doch er kommt wieder. Elizabeth kann sich nicht helfen, sie muß ihm einfach etwas zu essen geben. Und weiter schreibt sie an ihrem Tagebuch, in dem sie sich selbst beobachtet, und darin über ihre merkwürdige Beziehung zu diesem Schwarzen, dem sie mit Kleinigkeiten hilft und den sie bald selbst braucht, da ihre Kräfte nachlassen.

Da ist noch Florence, die schwarze Haushaltshilfe, seit über zehn Jahren bei Elizabeth im Dienst. Auch hier beginnt ein menschlicheres Verhältnis in dem Maß, in dem Elizabeth ihre Umgebung immer mehr so sieht wie jemand, der nicht mehr lange zu leben hat und noch alles wissen will, was.er nie beachtet oder begriffen hat. Elizabeth entdeckt die Familie von Florence, ihren fünfzehnjährigen Sohn, der von der Polizei gejagt wird, sie muß seinen Tod mit ansehen und den seines Freundes. Langsam verliert Elizabeth ihre Kräfte und gewinnt an Verständnis für diese fremde schwarze Welt neben ihr. Sie braucht nicht einmal ihre Ansichten zu wechseln, denn ein anständiger

Mensch war sie ja immer schon. Zeitweise fragt man sich, ob dieses innerliche Wachsen ihren Krebs nicht doch positiv beeinflußen könnte. Aber das wäre denn doch ein wenig zu kitschig gewesen. Elizabeth bleibt verurteilt.

Das Apartheidregime ist zusammengebrochen. Daß die Wandlung von einem Bassistenstaat zu einer Zivilgesellschaft mit so wenig Gewalt und Zerstörung ablief, versteht man etwas besser dank diesem Boman. Die Haltung der Elizabeth Curren zu den

Schwarzen um sie herum ist die Haltung der Mehrzahl der Weißen Südafrikas: zwar stets mit Distanz zu den Schwarzen lebend, aber letzten Endes doch in stetem Kontakt mit konkreten Menschen, mit denen man schließlich fast so gut vertraut war wie mit Familienmitgliedern.

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