In einer Heil-losen Welt

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Markus Krah über das Gefühl der Verlorenheit in einer bedrohlichen Welt.

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Markus Krah über das Gefühl der Verlorenheit in einer bedrohlichen Welt.

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Die Corona-Pandemie nimmt kein Ende, in Europa herrscht Krieg wie seit 1945 nicht mehr, Klimaveränderungen bedrohen die Zukunft unserer Kinder und Enkel: Die Krisen verdichten sich für immer mehr Menschen zu einem Gefühl, dass die Welt aus den Fugen ist, wir aus einem Grundgefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit vertrieben wurden und immer weniger Einfluss oder gar Kontrolle über unser eigenes Schicksal haben.

Für religiöse Menschen kann diese existenzielle Verunsicherung auch eine Glaubensfrage sein. Im Judentum berühren sich dabei Glaube und Geschichte: Vertreibung, Exil und Diaspora prägten die politische Geschichte der Juden über Jahrhunderte. Sie sind auch theologische Begriffe, die für eine unvollendete Heilsgeschichte stehen. Die Vorstellung von einer erlösungsbedürftigen Welt prägt auch das Christentum. Doch es gibt wichtige Unterschiede. Im Judentum verstärkt die politische Erfahrung, als Minderheit einer oft feindseligen Umwelt ausgeliefert zu sein, die Notwendigkeit, spirituelle Antworten darauf zu finden.

Können Juden daher besser umgehen mit dem Gefühl der Verlorenheit in einer bedrohlichen Welt? Das wohl nicht – aber: Die jüdische Tradition kennt weniger theologische Reflexion über das, was am Ende des Lebens und am Ende der Geschichte kommt, als das Christentum. Darin spiegelt sich wieder der Zusammenhang zwischen spiritueller Erlösung und Heilung der jetzigen konkreten Welt.

Für Juden ist die unpolitische Hoffnung auf eine bessere Welt nach dem Ende der jetzigen zwar eine Option, doch stärker ist oft der (verzweifelte) Versuch, diese Welt, das Hier und Jetzt, besser zu machen. Das muss kein Verlust an Trost und Hoffnung sein, sondern kann dem Leben in unserer oft Heil-losen Welt, in der wir alle im Exil sind, einen eigenen Sinn geben.

Der Autor lehrt jüdische Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Potsdam.

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