Irgend ein Schmerz

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Ines Charlotte Knoll über persönlichen Schmerz, der einem jeden Menschen, einem jeden Wesen in aller Natur eignet.

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Ines Charlotte Knoll über persönlichen Schmerz, der einem jeden Menschen, einem jeden Wesen in aller Natur eignet.

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„Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei“, so beginnt die Kirchenkantate, von Johann Sebastian Bach geschrieben zu Leipzig für den zehnten Sonntag nach Trinitatis, der zu seiner Zeit noch als „Judensonntag“ begangen wurde. In den 1960er Jahren wird dieser, die Verhältnisbestimmung von jüdischen und christlichen Menschen bedenkend, „Israelsonntag“ genannt.

Ich fragte mich, wie ich denn Juden und Christen gendere, so dass es „gut“ klingt für uns. Die obenstehende Genderung gefällt mir sehr, sie erreicht mein Herz. Denn ich sehe schon die Verbindung zwischen uns, in dem was wir sein können und sind: MENSCHEN! Die Welt ist – wie Paul Celan mit den Gesängen der Klagelieder aus dem Ersten Testament wusste – „zu uns / in die leere Stunde getreten“. Sein Bitten geht mit allen unerklärlichen verfügten Schmerzen, die gelitten werden von Menschen: „… tu den Stern in die Nacht. // (- In meine, in / meine)“.

„Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei.“ Mir gefällt noch etwas. Die neue Rechtschreibung zieht „irgend ein“ zu einem Wort zusammen: irgendein. Spürst du, wie die Sprache vergleichgültigt? Einem jeden Menschen, einem jeden Wesen in aller Natur eignet ein persönlicher Schmerz. Die Wahrheit der Schmerzen kommt immer in Person. Es ist immer mein Schmerz. „Wir glauben Gott im höchsten Thron“, hat Rudolf Alexander Schröder, am 22. August 1962 verstorben, sein Glaubenslied gedichtet. In jungen Jahren hatte er sich den Nazis angeschlossen. Er hat aber aus der Schmerzzeit gelernt, darum die Formulierung von Gott über allem. Diese Liebe, deren „Wink und Ruf das Licht aus Finsternissen schuf“, wiederholt ihr erstes Versprechen vom „Es werde“! Und spricht und lebt es aus durch dich und mich.

Darum schauen wir doch und sehen wir einfach nach, „ob irgend ein Schmerz sei“!

Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R.

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