Jüdisches Weltkulturerbe

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Wenn Reisen wieder möglich ist, ist die Liste des UNESCO-Kulturerbes kein schlechter Ratgeber, schreibt Markus Krah in der neuen Glaubensfrage.

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Wenn Reisen wieder möglich ist, ist die Liste des UNESCO-Kulturerbes kein schlechter Ratgeber, schreibt Markus Krah in der neuen Glaubensfrage.

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Was haben Baden bei Wien, Speyer, Worms und Mainz gemeinsam? – Zwei Dinge: Wenn alles klappt, werden sie Ende Juli von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Und sie spiegeln die Entwicklungen jüdischen Lebens in Europa vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert.

Speyer, Worms und Mainz sind nach ihren hebräischen Anfangsbuchstaben als „SchUM“-Städte bekannt. Die dortigen Rabbiner genossen im Mittelalter so große Autorität, die jüdische Kultur dort war so reich, dass die Region als „Jerusalem am Rhein“ galt. Der bekannteste Gelehrte war Rabbi Schlomo ben Jizchak (circa 1040–1105), genannt Raschi. Sein Kommentar wird bis heute mit jeder Talmud-Ausgabe gedruckt. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts sank der Stern der SchUM-Städte durch Pogrome und Vertreibungen. Doch die jüdische Tradition bewahrt ihr Erbe, das heute auch durch Ausgrabungen und Museen zugänglich ist. Zu den beeindruckenden Funden gehört eine „Mikwe“ in Speyer, ein Bad, das der rituellen Reinigung diente.

Ein Bad ganz anderer Art liegt gut 700 Kilometer und gut 700 Jahre entfernt: Baden will gemeinsam mit anderen bedeutenden europäischen Kurbädern des 19. Jahrhunderts Welt­kulturerbe werden. Erholungsaufenthalte dort waren für das Bürgertum wichtige Rituale des gesellschaftlichen Lebens. Unter den Gästen waren viele Juden. Für sie spiegelten sich an diesen Orten viele Erfahrungen mit der Moderne: neuer sozialer Status, Orientierung am Bürgertum, Antisemitismus und freiwillige Abgrenzung als eigene Gruppe, aber auch die zunehmende Vielfalt jüdischer Kulturen. Zu den Kurgästen gehörten auch traditionell-religiöse Gäste, die nicht nur die in Kurorten vorhandenen koscheren Restaurants, sondern auch eine Mikwe aufsuchten. Wenn Reisen wieder möglich ist, ist die Liste des UNESCO-Kulturerbes kein schlechter Ratgeber.

Der Autor lehrt jüdische Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Potsdam.

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