Kein jüdisches Problem
Angesichts der Wahlen in Israel: Politische Torheit ist ein menschliches Problem.
Angesichts der Wahlen in Israel: Politische Torheit ist ein menschliches Problem.
Von David Ben-Gurion stammt bekanntlich der nicht gerade salonfähige Ausspruch, dass wenn Israel einmal seine jüdischen Diebe und Prostituierten hätte, es endlich ein Staat wäre wie alle anderen. Dieser Spruch müsste heute etwas anders lauten: Wenn Israel einmal eine tief gespaltene Gesellschaft ist, ein Land der Ungleichheit, wo rechtsradikale und ultranationale Politiker Koalitionen schmieden, dann ist es ein Staat geworden wie jeder andere. Und so hat sich denn die Urhoffnung der frühen Zionisten, die Hoffnung auf „Normalisierung“ des jüdischen Volkes, auch erfüllt.
Nur ist es vielleicht nicht das Bild, das sich Theodor Herzl in seinem Roman „Altneuland“ von 1902 ausmalte: „Es fand hier offenbar ein Verkehr aller Völker statt, denn man sah die buntesten Trachten des Morgenlandes zwischen Gewändern des Okzidents. Chinesen, Perser, Araber wandelten durch die geschäftige Menge.“ Das sollte Haifa sein im Jahr 1923, und in Jerusalem, da gab es „Pilgerhäuser für die Gläubigen aller Bekenntnisse“ und einen internationalen Friedenspalast. „Hier wirkt man keineswegs für das jüdische Land und seine Bewohner“, spricht der Held des Romans, „sondern für andere Länder und Völker.“
Eine kolonial gefärbte, naive Utopie? Ohne Zweifel. Aber auch die Vorstellung einer offenen Vielvölkergesellschaft, die auf einer demokratischen Kooperative gegründet war – und deren eigentliche Störenfriede für Herzl nicht etwa die arabischen Mitbürger waren, sondern „provinzielle“ Anhänger der jüdischen Orthodoxie.
Die letzten Wahlen in Israel brachten wieder einen Ruck nach rechts. Das kennen wir bereits aus Europa, den USA und anderswo. Und wir wissen, dass jede Demokratie aus einer Vielfalt von Menschen und Meinungen besteht. Das Problem politischer Torheit ist eben kein jüdisches, sondern ein menschliches.
Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.
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