Koran und Corona: Auf Deutsch rezitieren?
Mouhanad Khorchide über eine besondere Herausforderung im diesjährigen Ramadan.
Mouhanad Khorchide über eine besondere Herausforderung im diesjährigen Ramadan.
Es gibt zahlreiche Koranübersetzungen in die meisten Sprachen, und die muslimischen Gelehrten sind sich einig, dass man den Koran übersetzen darf und sogar soll, damit Nicht-Arabisch-Sprachige einen Zugang zu ihm haben. Allerdings werden die Übersetzungen als eine Art Auslegung eingestuft, da sich der Übersetzer für eine bestimmte Interpretation entscheidet, die er in die jeweilige Sprache transferiert.
Es ist üblich, dass sich Gläubige im Ramadan in der Moschee in der Nacht versammeln, um zusätzliche Gebete zu verrichten, in denen jeden Tag ein Teil des Korans vom Imam rezitiert wird. Diese Gebete heißen Tarawih-Gebete. Durch den Ausfall dieser Gebete in diesem Ramadan rufen Gelehrte dazu auf, sie zu Hause zu verrichten. Allerdings kann die Mehrheit der Muslime, die ja keine Araber sind, den Koran kaum auf Arabisch lesen, geschweige denn rezitieren. Man verließ sich bislang auf den Imam, der das konnte. Nun entflammte die Diskussion, ob es erlaubt sei, die Tarawih-Gebete durch einen allein betenden Imam im Fernsehen bzw. online zu übertragen, damit Gläubige gemeinsam mit ihm beten. Viele meinen, das Gebet sei ungültig, weil die Betenden nicht wirklich hinter dem Imam stehen. Andere sehen darin kein Problem. Man findet auch keine Präferenzen in der islamischen Tradition, da es früher diese Möglichkeiten der Übertragung von Gebeten ja nicht gab.
Was nun? Die meisten Muslime verzichten heuer auf die Tarawih-Gebete bzw. rezitieren nur dieselben kleinen Suren, die sie können. Ich plädiere allerdings dafür, eine neue Tradition einzuführen: im Gebet den Koran auch in anderen Sprachen zu rezitieren, vielleicht sogar für jede Sprache eigene Rezitationsregeln zu erstellen, die man im Religionsunterricht lernt. Das Original soll dennoch erhalten bleiben, da es sich dabei um die Stimme handelt, wie der Koran von Mohammed verkündet wurde.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.