Mass Shootings

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Über amerikanische "mass shootings" und die Moral der Todesstrafe.

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Über amerikanische "mass shootings" und die Moral der Todesstrafe.

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Das englische Wort mass shooting hat keine elegante Übersetzung. Aber es wird definiert als der bewusste Einsatz einer Schusswaffe, bei dem mindestens vier Menschen getötet oder verletzt wurden. Danach gab es in diesem Jahr 39 mass shootings in den USA, während es im letzten 648 waren. Sie geschahen in Einkaufszentren, Tanzlokalen, Gotteshäusern, Schulen. Im letzten November starben drei Studenten an meiner Universität. All dies ist Alltag, und es gibt eine alltägliche Routine der Trauer, der Fragen, des Gedenkens. Strengere Waffengesetze? Heute sind auch die Liberalsten davon überzeugt, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bringen. Neues Protokoll: Wer einen Todesschützen sieht, soll nicht mehr das Weite suchen, sondern ihn überwältigen. Da ist es schon besser, einen Revolver am Halfter zu haben.

Doch was geht in den Köpfen dieser Massen(selbst)mörder vor? Geistige, seelische Störungen? Hass, Rassismus? Oder einfach Ärger und Zorn? Ein bisschen etwas von alledem, sagen die Experten. Der flämische Soziologe Lambert Quetelet aber behauptete schon 1842, dass ein Täter immer nur das ausführte, was die Gesellschaft in ihm vorbereitet hatte. Dabei dachte er natürlich nicht an einen bösen Fernsehkrimi, sondern an die Gewalt des Staates. Er dachte an den Glauben, dass Gewalt, dass der Tod selbst Gerechtigkeit bringen könnten.

Die überwiegende Mehrzahl der US-Amerikaner glaubt, die Todesstrafe sei moralisch gerecht. Doch die wenigsten glauben an ihre Abschreckungskraft. Sie glauben nur an die Gerechtigkeit des Todes. Dieser Glaube, mit dem auch das Judentum zu ringen hat, vergisst jedoch, dass Gerechtigkeit manchmal nicht sein kann und dass wir manchmal weiterleben müssen ohne sie. Die Täter aber, die ihr und anderer Leben nehmen, sie glauben bis in den Tod an die Gerechtigkeit.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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