Missbrauch: Schutz jenseits des Geschlechts

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Mouhanad Khorchide über Missbrauch, Gewalt und Geschlechterrollen.

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Mouhanad Khorchide über Missbrauch, Gewalt und Geschlechterrollen.

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Vor wenigen Tagen erzählte mir ein Bekannter von einem Vorfall an seinem Arbeitsplatz. Ein 19-jähriger Praktikant habe sich von seiner Vorgesetzten „missbraucht“ gefühlt. Alles begann mit kleinen Gefälligkeitsdiensten, die er für seine alleinstehende Vorgesetzte und Mutter von drei kleinen Kindern erbringen musste.

Einmal sollte er die Kinder von der Schule abholen, ein anderes Mal sich um die privaten Einkäufe seiner Vorgesetzten kümmern, und so ging es weiter bis es zu einer Selbstverständlichkeit wurde, dass er oft bei ihr zuhause übernachtete, um auf die drei Kinder aufzupassen und sich um den Haushalt zu kümmern. Wenn etwas mit den Kindern oder im Haushalt nicht stimmte, hat sie ihn getadelt oder sogar angeschrien.

Irgendwann hat mein Bekannter bemerkt, dass irgendetwas mit dem jungen Mann nicht stimmte. Er verlor immer mehr an Gewicht, musste öfters erbrechen und klagte ständig über Kopfschmerzen. Er sprach ihn darauf an und so entstand bald ein Vertrauensverhältnis. Es dauerte nicht lange und der Praktikant erzählte meinem Bekannten von all den Dingen, die er für die Vorgesetzte leisten muss.

Daraufhin kontaktierte mein Bekannter den Betriebsrat und begleitete den Praktikanten dorthin. Die Erfahrung, die beide dort machten, war äußerst enttäuschend. Die zuständige Dame im Betriebsrat nahm die Vorgesetzte des Praktikanten mit der Begründung in Schutz, diese sei alleinstehend und auf Unterstützung angewiesen. Ein anderer Berater murmelte: „Ein 19-Jähriger ist schon ein Mann, er kann sich selbst schützen.“ Mein Bekannter meinte: „Hätte ich eine Praktikantin zu mir nach Hause genommen und sie gezwungen, sich um meinen Haushalt zu kümmern und bei mir zu übernachten, wäre ich längst fristlos entlassen worden.“ Ihn beschäftigt die Frage: „Warum werden Phänomene wie sexuelle Belästigung, Missbrauch oder sogar Gewalt in zwischenmenschlichen Beziehungen pauschal den Männern zugeschrieben?“ Ist es nicht Ausdruck patriarchalischer Einstellungen, in Frauen lediglich Schutzbedürftige zu sehen, die den Männern unterlegen sind?

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.

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