Nackte Provokationen

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Asher D. Biemann über Michelangelos zu nackten David.

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Asher D. Biemann über Michelangelos zu nackten David.

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Wie nun? Michelangelos „David“ ein Renaissance-Porno? Im konservativen Florida offensichtlich schon. Dort gab es unlängst einen Aufstand, als diese Statue im Schulunterricht gezeigt wurde, und die Direktorin musste gehen. Das machte Schlagzeilen – sogar in Europa. Aber so ungewöhnlich ist diese Geschichte gar nicht.

Als 1995 die Stadt Florenz ihrer Partnergemeinde Jerusalem zum 3000-jährigen Bestehen eine Kopie der Statue stiften wollte, wurde diese abgelehnt. Zu nackt, befand das Ministerium für Kultur. Den religiösen Bürgern Jerusalems nicht zumutbar.

Ähnlich prüde urteilte bereits der große jüdische Historiker Heinrich Graetz, als er 1883 die „Schaustellung der Nuditäten“ in Museen und die alles „Schamgefühl tötenden“ Kunstakademien beklagte, die dem wollüstigen „Cultus der Aphrodite“ anheimgefallen waren. Es gab immer schon jüdische Puritaner. Und genau um den Puritanismus – den „Neuen Puritanismus“, wie Kritiker heute sagen – geht es hier: ein moralischer Enthusiasmus, der ebenso humorlos ist wie arrogant und dem sowohl die ganz Konservativen als auch die ganz Progressiven auf ihre Weise nacheifern.

Diese neue Reinheit fegt von rechts durch die Schulbibliotheken und von links durch die Universitätsfakultäten, denn überall will man ideologische Sauberkeit, Zensur im Denken und Fühlen, eine totale Tugend, die aber eigentlich nichts ist als totale Konformität.

Anders als Graetz erkannte der jüdische Philosoph Hermann Cohen gerade in der ästhetischen Nacktheit ein Werkzeug der Menschenliebe: „Die Humanität ist die Frucht des Eros.“ Und anders als die neuen Puritaner erkannte er, dass Menschenliebe auch menschliche Schwächen lieben muss, so wie sie auch den Fernsten liebt. Denn er wusste, dass menschliche Kultur erst da entsteht, wo sie sich zur sozialen „Unreinheit“ bekennt.

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