Novemberfreude
Religion leben als Ermutigung gegen eine alles beherrschende Mutlosigkeit.
Religion leben als Ermutigung gegen eine alles beherrschende Mutlosigkeit.
„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei …“ Verborgener Gott, zu dir will ich beten von der Tiefe des Elends, von den Schmerzstufen, die höher und höher steigen für Menschen ungezählt in diesem November. Zu dir, verborgener Gott, will ich beten von der Sehnsucht nach deiner Zärtlichkeit und der Hoffnung, die dem Sprichwörtlichen gemäß nicht stirbt zuletzt, sondern die aufsteht gegen alle Verzweiflung, weil es noch unendlich viele Morgenröten gibt, die nie noch geleuchtet haben, wie Nietzsche wusste. Zu dir, verborgener Gott, will ich beten von den Möglichkeiten, die wir noch haben, solange wir leben und sind. Ich sehe Gesichter und Menschen in dem Haus, in dem ich wohne, als wäre es die Welt. Seit dem Terroranschlag ist eine tiefe gegenseitige Empfindsamkeit spürbar, eine Sensibilität für eine Gemeinsamkeit, die wir sein wollen – und sei es nur für Augenblicke.
Aleida Assmann hat im Angesicht des Leidens ihrer Tochter einmal gesagt: „Für mich ist das Zentrum der Religion eigentlich nicht der Glaube, sondern die Praxis. Für mich ist Religion etwas, das man tut. Es besteht solange, wie man etwas tut.“ So kann man die Ringparabel von Lessing in die Wirklichkeit hineinleben. Religion leben als Ermutigung gegen eine alles beherrschende Mutlosigkeit. Frage jetzt nicht nach dem Namen Gottes, hatte Paul Tillich in die Generation nach dem 2. Weltkrieg gerufen, „vielleicht wirst du ihn später finden“. Die Neue Schöpfung sollte „die unendliche Leidenschaft jedes menschlichen Wesens“ sein. Und sagen lasse ich es mir zu gerne: „Das Christentum verkündigt nicht das Christentum, sondern eine neue Wirklichkeit“. Dazu bekenne ich mich mit Haut und Haar und heller Novemberfreude: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i.R.
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