Pessach in der Coronazeit

19451960198020002020

Über die Einsamkeit an jüdischen Festtagen.

19451960198020002020

Über die Einsamkeit an jüdischen Festtagen.

Werbung
Werbung
Werbung

In der Woche vor Ostern hat auch das jüdische Pessach-Fest begonnen. Wie alles, was Menschen dieser Tage tun, wird auch dieses Fest von der Pandemie überschattet. Zu den Texten, die beim traditionellen „Seder“, dem Gemeinschaftsmahl zur Erinnerung an den Exodus aus Ägypten, rezitiert werden, gehört die Frage, „Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ In diesem Jahr verzweifelt mancher an der Frage, „Warum ist in diesem Jahr alles anders als in anderen Jahren?“ Pessach ist das beliebteste Fest im jüdischen Jahreskreis, weil es in der Gemeinschaft von Familie und Freunden gefeiert wird – wenn nicht ein Virus dieses Zusammensein verhindert.

Im März haben israelische orthodoxe Rabbiner darum entschieden, dass in diesem Jahr der Seder per Videokonferenz erlaubt ist. Solche Maßnahmen zeigen, wie dramatisch selbst strenge Traditionalisten die Lage sehen, aber auch, welche Flexibilität dann bei der Auslegung des Religionsgesetzes möglich ist. Natürlich kann keine Videokonferenz das echte Zusammensein ersetzen, und vielen graut vor der Einsamkeit in diesen Festtagen. Noch schwieriger wird es, weil vieles am Pessach-Fest wie ein bitterer Kommentar zur aktuellen Lage klingt: Es erinnert an die Plagen, mit denen Gott die Ägypter strafte, die Israeliten aber verschonte. (Heute gibt es antisemitische Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie). Pessach erinnert an die Vertreibung aus dem Zuhause, dem viele dieser Tage nur allzu gerne entfliehen würden, zur Not in die Wüste, besser noch in ein Gelobtes Land, in dem wir vom Joch des Virus befreit sind. Beim Seder wird diese Hoffnung in die Formel gekleidet: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Jeder darf diese Formel abändern und in diesen Tagen beten: „Nächstes Jahr in einer gesünderen Welt!“ oder „Nächstes Jahr wieder zusammen!“


Der Autor forscht zurzeit zu Jewish Studies an der Vanderbilt University, Nashville/USA.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung