Propheten, Kritiker der Könige

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Ein Umbruch führt nicht immer zum Besseren - und dennoch: Kontinuität braucht Veränderung.

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Ein Umbruch führt nicht immer zum Besseren - und dennoch: Kontinuität braucht Veränderung.

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Als die Nachricht kam vom Tod der Queen, da entrüsteten sich manche meiner Studierenden hier in Virginia: Es ist Zeit, dass diese „rassistischen Regenten“ endlich abdanken, dass diese „kolonialistische Krone“ Vergangenheit wird. Niemand soll zur Herrschaft geboren sein, auch wenn sie nur symbolisch ist. Eine königliche Familie, ein Adelsstand, Paläste, Landsitze, das sind Undinge für unsere Zeit.

Die Generation meiner Studierenden hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Und da haben sie recht: Die Geschichte der britischen Krone ist tatsächlich kein unbeflecktes Blatt, so wie eben die Geschichte eines jeden Landes, jeden Staates, einer jeden Revolution und jeder Demokratie kein unbeflecktes Blatt ist. Da sollen wir alle kritisch bleiben, vor allem im eigenen Land.

Zu den schärfsten Kritikern der Königshäuser gehörten die biblischen Propheten. Die jüdische Geschichte überhaupt lehrt ein gespaltenes Verhältnis zur Monarchie. Zum einen waren die Könige nur Kompromisse für ein ungezogenes Volk, dem das Königtum des Einen Gottes nicht genug war; zum anderen jedoch gab es auch Königinnen und Könige, deren Weisheit und politische Lenkung durchaus Stabilität, Wohlstand und Frieden erzeugten. Die Propheten hielten nur fest am Prinzip der Theokratie: Wo Gott herrscht, da kann kein Mensch Herrscher sein. So durften sie Kritiker aller Übermacht der Menschen bleiben.

Ob König, Richter oder General; ob Lehrer oder Präsident, niemand hat schrankenlose Macht. Sie alle sind Menschen und sollen streben nach Gerechtigkeit und Forterhaltung der Nation. Mehr lehrt uns die jüdische Lehre in dieser Sache nicht. Aus der jüdischen Geschichte allerdings lernen wir, dass Kontinuität auch Reform erlaubt, und dass der Umbruch oder gar Zusammenbruch einer Monarchie nicht immer glücklichere Zeiten bringt.

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

Fakt

Willkommen, Asher D. Biemann!

Nicht ganz sieben Jahre hat Markus Krah als jüdischer Gesprächspartner alle vier Wochen in der Kolumne „Glaubensfrage“ geschrieben. Mit 1. Oktober ist der bislang an der Uni Potsdam Jüdische Religions- und Geistesgeschichte Lehrende nach New York übersiedelt, wo er die Leitung des renommierten Leo-Baeck-Instituts zur Erforschung der Geschichte der deutschsprachigen Juden übernommen hat. Für die FURCHE bedeutet dies, dass Krah seine Kolumnistentätigkeit für diese Zeitung aufgeben musste – wir sind dankbar für seinen vielfältigen und meist sehr originellen jüdischen Blick, den er da vermitteln konnte. Neuer jüdischer Kolumnist in der „Glaubensfrage“ ist ein Fachkollege Krahs: Asher D. Biemann lehrt moderne jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der University of Virginia. Er studierte an den Universitäten Graz und Wien sowie in Jerusalem an der Hebräischen Universität. Zu seinen Publikationen zählen die Monografie „Michelangelo und die jüdische Moderne“ (2016) sowie als Mitherausgeber „Spiritual Homelands: The Cultural Experience of Exile, Place and Displacement Among Jews and Others“ (2020), außerdem ist er Herausgeber von Schriften Martin Bubers. Wir freuen uns, in der FURCHE nun eine regelmäßige jüdische Perspektive aus den USA anbieten zu können. Wir hoffen auf weitere spannende Auseinandersetzungen – im Quartett mit den anderen Religionskolumnist(inn)en dieser Zeitung!

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