Reform und Identität im Islam

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"Reform bedeutet, die Plausibilität und den Lebensbezug religiöser Traditionen immer wieder neu zu hinterfragen", sagt Mouhanad Khorchide.

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"Reform bedeutet, die Plausibilität und den Lebensbezug religiöser Traditionen immer wieder neu zu hinterfragen", sagt Mouhanad Khorchide.

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Am Montag wurde der Reformationstag im Gedenken an die Kirchenreformation durch Martin Luther gefeiert. Reform bedeutet Wandel. Wenn es um Religion geht, bedeutet dies das kritische Hinterfragen von Positionen, die bislang als fixer Bestandteil der eigenen religiösen Tradition galten. Solche Traditionen sind allerdings stark identitätsstiftend. Sie zu hinterfragen kann daher zur Irritation der eigenen religiösen Identität führen. Im Fall der Muslime in Europa ist Reform noch stärker mit Identitätsverunsicherung verbunden als in muslimisch geprägten Ländern.

Denn als religiöse Minderheit in einer nicht muslimischen Mehrheitsgesellschaft klammern sich viele an althergebrachte Traditionen. Man denke etwa an patriarchalische Einstellungen, die Frauen als den Männern unterlegen ansehen, oder die Ablehnung von Homosexualität bzw. die Skepsis mancher, wenn es um Geschlechterdiversität geht. Zum Teil gelten solche Aspekte als nicht verhandelbar und werden daher meist tabuisiert. Religionen, auch der Islam, sind allerdings nicht vom Himmel gefallen, sie haben sich im Laufe von Jahrhunderten entwickelt.

Reform bedeutet, die Plausibilität und den Lebensbezug religiöser Traditionen immer wieder neu zu hinterfragen. Dieser Prozess setzt jedoch Selbstsicherheit und einen hohen Grad an Reflexionsvermögen voraus. Daher benötigen Reformen religiöse Bildung, in der es nicht um das Eintrichtern von absoluten Wahrheiten geht, auch nicht um eine statisch begriffene Bewahrung religiöser Identitäten, sondern um das Befähigen zur Mündigkeit in religiöser Hinsicht.

Der Islam ist so lange im Wandel begriffen, wie er Anhänger hat, die ihn in ihr Leben integrieren wollen, und zwar im Sinne seiner Befreiungsbotschaft. Es gilt, diese Botschaft immer wieder zu aktualisieren und daher ständig nach neuen, zeitgemäßen Interpretationen des Islams zu fragen.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster

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