Wenn ein Muslim stirbt, kondolieren Bekannte mit dem Bittgebet: „Möge Gott seiner Seele gnädig sein.“ Als vorige Woche die bekannte Journalistin Shireen Abu Akleh in Palästina getötet wurde, entflammte in der islamischen Welt eine Kontroverse, denn Abu Akleh war Christin. Dürfen Muslime um Gnade und Barmherzigkeit für eine verstorbene Nichtmuslimin bitten? Die in der islamischen Theologie dominierende Position liefert eine klare Antwort: „Nein! Denn im Himmel gibt es nur für Muslime Platz.“ Diese Ansicht vieler muslimischer Theologen steht jedoch im klaren Widerspruch zu zahlreichen koranischen Aussagen, wie Sure 2:62 und 5:69, die neben den Muslimen auch Juden, Christen und Angehörigen anderer Religionen die ewige Glückseligkeit versprechen. Der Koran beschreibt die Barmherzigkeit Gottes als absolut: „Meine Barmherzigkeit umfasst alle Dinge“ (7:156). Exklusivistische Positionen, die die Gnade Gottes nur der eigenen Gruppe zuschreiben, schränken die Barmherzigkeit Gottes ein. Was ist das allerdings für ein Bild von einem Gott, der sogar für Ermordete wie Abu Akleh ewige Qual in einer ewigen Hölle vorbereitet hat?! Wie kann man den Glauben an so einen Gott noch rechtfertigen? Ein Gott, dem es um Labels und Zugehörigkeit geht, ist leicht für die Legitimation von Macht und Selbstüberhöhung über andere instrumentalisierbar. Wieso ist diese exklusivistische Position dennoch so stark im Islam verbreitet? Einerseits fehlt es vielen an kritischer Reflexion, um solche menschenfeindlichen Positionen zu hinterfragen. Andererseits spiegeln solche Ansichten einen Wunsch nach Selbstglorifizierung gegenüber Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen wider. Nächstenliebe ist hier ein hilfreicher Indikator, um sich von seiner Nähe zu oder Ferne von Gott zu vergewissern. Möge Gott der Seele Abu Aklehs und der jedes Verstorbenen gnädig sein.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.
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