Sylvia Plath: Wo ist Gott?

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Über das Schreiben als religiösen Akt.

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Über das Schreiben als religiösen Akt.

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Ballsaison. Ich sehe sie tanzen in diesem Jahr, Sylvia Plath, und es ist ein Gebet für alle, es verwandelt die Zeit und die Werte. Es ist ein Totentanz des Lichts der Erkenntnis, Glücksschritte, welche die Leuchtturmtänzerin des Widerstands und der Ergebung vor dem Nein der Welt hier vollbringt. Ihr ganzes Leben ein sich Schwingen im Worttanzsaal, dem Tod gewidmet; die Säulenheilige der Sinnfrage war und blieb antwortlos, bis sie am 11. Februar im Jahr 1963 sterben musste am tiefen Schrei nach einem Sinn, der hier wäre.

„Sterben / Ist eine Kunst, wie alles andere auch. / Ich kann es besonders gut“, wusste sie schon zuvor, und es ist, als dichtete sie einen Trauergesang der Erde und ihres ganzen Lebens. Eine Seltenheit, der schöne Worttanz über dem bestürzenden Kontingenzversagen, das weltweit ist und persönlich und politisch. Die Antwort schuldig zu bleiben aus Absicht, als ein wesentlicher Teil dieses Versagens, ist ein tragisches Verbrechen an der Menschheit und an der Würde aller Existenz.

Aber Leuchtworte voll berechtigter Hoffnung, die, weil sie einmal von derselben Dichterin geschrieben werden konnten, sind ewiggültig in ihrem Lichtmut und froh einzuschreiben in die Sehnsucht nach einer wahren Theologie: „Schreiben ist ein religiöser Akt: Es ist ein Ordnen, ein Reformieren, ein Wiederlernen und Wiederlieben von Menschen und der Welt, wie sie sind und wie sie sein könnten.“

Vielleicht ist Wilhelm Gräb, der evangelische Theologe, der hochbetagt vor wenigen Tagen verstorben ist, Sylvia Plath auf der andern Seite begegnet, im Ballsaal der tanzenden Gedanken vom Sinn, der ist. Alles Leben sei der Deutung bedürftig, tröstet er sie. Und die Frage ist offen für Gott.

„Wo ist Gott?“, höre ich ihn seine Gesprächspartnerin heiter fragen: „Oft gerade da, wo man ihn nicht sucht!“

Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R.

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