„Ulysses“, jüdisch gelesen

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James Joyce‘ „Ulysses“ stellt Fragen nach jüdischer Identität in der Moderne.

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James Joyce‘ „Ulysses“ stellt Fragen nach jüdischer Identität in der Moderne.

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Vor ein paar Tagen hatte ein Jahrhundert-Roman Geburtstag: Anfang Februar 1922 veröffentlichte James Joyce „Ulysses“, in dem es um alles geht, um Gott und die Welt: In den Erlebnissen und Gedankenströmen des Protagonisten Leopold Bloom auf seinen (Irr-) Wegen durch Dublin stellen sich auch Glaubensfragen.

Darunter sind Fragen nach jüdischer Identität in der Moderne. Bloom hat einen ursprünglich jüdischen, später zum Protestantismus konvertierten Vater, wie das Vorbild der Figur, der Schriftsteller Italo Svevo. Für seine Frau Molly wurde Bloom dann katholisch getauft – bleibt aber auf komplexe Weise Jude. Weder kann er selbst diese Identität ablegen, noch akzeptiert seine Umwelt ihn als etwas anderes.

Er erlebt antisemitische Anfeindungen und bleibt den ganzen Roman hindurch ein Außenseiter. Er ist weder Held, noch Opfer in seinen Erlebnissen am 16. Juni 1904, sondern teilnehmender Beobachter des Alltags der Moderne. Schon in dieser Darstellung eines Juden in alltäglichen Situationen steckt ein Kontrast zur sonst üblichen Idealisierung, Exotisierung oder Stigmatisierung von Juden.

Doch Joyce bezog aus engen Beziehungen zu Juden und einer Beschäftigung mit dem Judentum noch eine weitere Perspektive: Blooms Jude-Sein ist rein subjektiv und folgt nicht religiösen Maßstäben. Seine Mutter ist keine Jüdin, er isst Schweinefleisch und praktiziert auch sonst das Judentum nicht.

Es ist das kulturelle Erbe, das ihm in Selbstbild und Außenwahrnehmung eine unaufgebbare jüdische Identität gibt. Joyce fühlte sich von dieser aus vielen Quellen gespeisten, modernen Identität angesprochen, auch weil er darin eigene Erfahrungen von Exil und Außenseitertum gespiegelt sah. Es lohnt sich also aus vielen Gründen, den „Ulysses“, das wenig gelesene Werk der Weltliteratur, zur Hand zu nehmen.

Der Autor lehrt jüdische Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Potsdam.

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