Wunden verbinden

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Hildegund Keul über die Chancen, die im Verbinden von Wunden in Zeiten wie der der Corona-Krise stecken.

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Hildegund Keul über die Chancen, die im Verbinden von Wunden in Zeiten wie der der Corona-Krise stecken.

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Die Corona-Pandemie zeigt die Notwendigkeit, Wunden zu verbinden. Sie offenbart aber auch, dass Wunden dazu herausfordern, sich miteinander zu verbinden. Aktionen wie „Offenes Ohr“ und die Einkaufsdienste zeugen davon. Europa droht sich zu spalten, aber die über Ländergrenzen hinweg online musizierte Europa- Hymne schafft Kommunikation. Gemeinsam erlittene und verschmerzte Wunden können Menschen zutiefst verbinden, sogar ein Leben lang. – Wunden sind ein Ort der Kommunikation. Weil sie eine Öffnung erzeugen, ermöglichen sie intime Kommunikation. Selbst dann, wenn man körperlich auf Distanz gehen muss. Zuvor getrennte Wesen verbünden sich und gewinnen überraschendes Leben.

Der Mystiker Thomas Merton beschreibt eine solche Erfahrung. „Plötzlich ergriff mich ein Schwindelgefühl, als mir bewusst wurde, dass ich all diese Menschen liebte; dass sie alle mir angehörten und ich ihnen; dass wir einander nicht fremd sein könnten, auch wenn wir uns überhaupt nicht kennen. Es war, als ob ich aus einem Traum der Trennung, der falschen Isolation erwachte.“ Mystische Erfahrungen ereignen sich mitten in der Krise, mitten in der Bedrohung, aus der Wunde heraus. – Das Christentum hat eine besondere Verbindung zu Wunden.

Denn es glaubt daran, dass Gott sich in Jesus Christus selbst der menschlichen Verwundbarkeit aussetzt. Tatsächlich kommt es zum worst case der Inkarnation: zur Kreuzigung. Das Kreuz, schmerzliche Wunde, bewegt die Jünger:innen dazu, sich neu miteinander zu verbinden. „Die Kreuzigung ist die Wunde, durch die der Gläubige mit Gott kommuniziert.“ (Georges Bataille) Die Zeit auf Ostern hin lädt ein, diese Kommunikation zu intensivieren – mitten in der Krise, mitten aus der Verwundung heraus. Wunden verbinden.

Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg.

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