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Gleichberechtigt? Wir haben Zweifel

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Verbindung setzen und weiter gegen den Staat aktiv sind.

Ist das der Versuch, bestimmte Kräfte der Opposition im Lande abzunabeln?

YILMAZ: Eigentlich bin ich für die Abschaffung all dieser Schutzmaßnahmen. Ich bin auch dafür, daß in der Türkei eines Tages eine kommunistische Partei gegründet werden kann. Aber wir haben in der Türkei zuletzt so Schlimmes erlebt, daß diese Maßnahmen unvermeidbar erscheinen.

Ihre Regierung führt ein sehr rigoroses Programm zur Wirtschaftssanierung durch. Wie sieht aber die Sozialpolitik aus?

YILMAZ: Unsere Regierung hat vor zweieinhalb Jahren ihr Amt angetreten. In diesen 30 Monaten haben wir wirtschaftlichen Reformen Priorität eingeräumt. Wir haben die türkische Wirtschaft drastisch liberalisiert, Außenhandelsbeschränkungen aufgehoben. Wir haben im ersten

Jahr ein Wachstum von sechs, im zweiten eines von 5,5 Prozent erzielt. Wir haben in dieser Zeit in der Sozialpolitik sogar einige Rückschritte gemacht. Zum Beispiel wurde das Pensionsalter für Männer von 55 auf 60 und für Frauen von 50 auf 55 Jahre erhöht.

Aber in der zweiten Hälfte unserer Amtsperiode wollen wir der Sozialpolitik Priorität einräumen. Dieser Prozeß hat schon begonnen. Seit kurzem gibt es ein Gesetz für die Bildung eines Fonds, aus dem bedürftige Bürger, die überhaupt keine Versorgung haben, unterstützt werden. Solche Maßnahmen sind für eine Regierung und eine Regierungspartei, die auch die kommenden Wahlen gewinnen will, unverzichtbar.

Es gibt auch ein großes West-Ost-Gefälle in der Entwicklung. Bildet das nicht die Grundlage für künftige soziale und politische Spannungen?

YILMAZ: Tatsache ist, daß zwischen dem Westen und dem Osten der Türkei ein sehr großer Entwicklungsunterschied besteht. Tatsache ist aber ebenso, daß der türkische Staat schon seit den siebziger Jahren massiv bestrebt ist, diesen Unterschied auszugleichen. Wir verfolgen ein spezielles Projekt für die Entwicklung der Südost-Türkei, das aus zahlrei-

chen Staudämmen, darunter dem Atatürk-Staudamm, dem größten in der Welt, besteht, verbunden mit einem Bewässerungsvorhaben, das die landwirtschaftliche Nutzfläche vervierfachen, den Ernteertrag wenigstens verfünffachen wird.

Wir hoffen, daß dieses Projekt 1992 in großem Umfang fertig ist. Und wir haben zusätzlich noch aus dem Staatshaushalt 20 Prozent unseres Investitionsbudgets von der West- und Mitteltürkei in dieses Gebiet verlagert, um die Entwicklung der Region zu beschleunigen.

Die Türkei gehört der NA TO an. Wie sieht das die Bevölkerung? Fühlen Sie sich als gleichwertiger Partner in der Atlantischen Allianz behandelt?

YILMAZ: Ich bin sicher, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung — und zwar viel deutlicher als die Spanier - für die NATO stimmen würde. Aber vielleicht kann man aus spanischer Sicht die Gefahren nicht so leicht sehen...

Ob die Türkei ein gleichberechtigter Partner ist? Daran haben wir sogar als Regierung unsere Zweifel. Wir unterstreichen immer, daß die Last, die wir im Rahmen dieser Allianz zu tragen haben, in Verbindung mit den Möglichkeiten, die wir haben, nicht gerecht ist.

Sie fühlen sich als militärische Bastion ausgenützt, aber wirtschaftlich zu wenig unterstützt?

YILMAZ: Das ist unser Hauptargument. Wenn man die Türkei als natürliches Mitglied der westlichen Welt betrachtet, dann darf sich das nicht nur auf die militärische und politische Zusammenarbeit beschränken, sondern das muß auch wirtschaftlich Konsequenzen haben. Militärisch und politisch rechnet uns der Westen zu sich, wirtschaftlich läßt man uns aber nicht als Vollmitglied der Gemeinschaft gelten.

Zur Zypernfrage: Man könnte den Eindruck haben, daß weder die Türkei noch Griechenland an einer Lösung des Problems interessiert seien, daß beide mit dem Status quo nicht unzufrieden sind.

YILMAZ: Wir sind an einer Beilegung des Konfliktes auf Zypern

äußerst interessiert. Wir wollen diese Krise loswerden, denn das Problem überschattet unsere gesamte Außenpolitik.

Wir haben bisher alle möglichen Konzessionen gemacht, aber es scheint, daß Griechenland die Krise prolongieren möchte.

Bekanntlich hat der UN-Generalsekretär 1985 ein Vorschlagspaket vorbereitet, unter der Voraussetzung, daß es in seiner Gesamtheit akzeptiert oder abgelehnt wird. Wir haben es im Ganzen akzeptiert, die Griechen haben es zum Teil angenommen, zum Teil abgelehnt. Trotzdem hat der UN-Generalsekretär die griechische Antwort anerkannt und eine revidierte Textfassung unterbreitet. Wir haben auch diese in ihrer Gesamtheit akzeptiert, die Griechen neuerlich mit Reserven. Jetzt hoffen wir doch, daß die Weltöffentlichkeit realistischer beurteilt, wer eigentlich am Frieden interessiert ist und wer nicht.

Wie beurteilen Sie die bilatera-

Zwentendorf-Verkauf in der „Kronen Zeitung“: Ein Märchen

len Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich?

YILMAZ: Unsere Beziehungen sind problemfrei, aber entwicklungsbedürftig. Wir sollten unsere Beziehungen weiter vertiefen und ausbauen.

In Österreich war zuletzt zu lesen, daß die Türkei an den verkaufbaren Teilen des Kernkraftwerks Zwentendorf interessiert ist. Stimmt das?

YILMAZ: Es gibt über dieses Projekt keine Verhandlungen zwischen der Türkei und Österreich. Wir haben zwar vor, in absehbarer Zukunft ein Kernkraftwerk in der Südtürkei zu errichten, stehen aber schon seit eineinhalb Jahren in Verhandlungen mit zwei prominenten Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Kanada. Es scheint so, daß die Kanadier den Auftrag bekommen, obwohl ihre Technologie etwas älter ist. Aber dafür haben sie ein spezielles Finanzierungsprogramm akzeptiert.

Mesut Yilmaz ist Staatsminister im Amt des türkischen Ministerpräsidenten, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Rundfunk und Femsehen, gleichzeitig ist er Regierungssprecher und stellvertretender Vorsitzender der regierenden Mutterlandspartei. Mit ihm sprachen im Rahmen des Besuches einer österreichischen Journalistendelegation in Istanbul Hannes Schopf und Tino Teller.

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