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Gleiche Bildung für alle

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Ab sofort werden alle Maturanten zwei Zeugnisse erhalten: eines über die letzte Klasse und ein weiteres über die ' Matura, in das nur noch die Noten der Prüfungsfächer eingetragen werden. Was soll's, werden sich die Betroffenen fragen. Während sich die mit viel Werbung umgebene „Schülerinformation“ des Unterrichtsministeriums nur auf die vage Wiedergabe der Zeitungsmeldungen beschränkt, gab der zuständige Ministerialrat Dr. Erich Benedikt eine einfach klingende, trotzdem

aber unverständliche Erklärung: es sei „praktischer“, man habe dies bei den Berufsbildenden Höheren Schulen festgestellt.

Hier wird der logische Denker mit Recht stutzig. Warum sollen zwei Zeugnisse „praktischer“ sein als ein einziges? Die Mittelschullehrer müssen mehr Papier ausfüllen, die Kanzleileiter mehr stempeln und die Anstaltsleiter öfter unterschreiben. Und der angehende Studiosus hätte in denjenigen Studienfächern, in denen bestimmte Fächer und sogar Noten als Studienvoraussetzung gelten, zwei Zeugnisse statt einem zu präsentieren.

Die Maßnahme selbst allerdings ist deutbar: Die Maturanten sollen lediglich Auskunft darüber geben, wie der Kandidat an seinem Reifeprüfungstag „in Form“ war. Unwesentlich werden die in früheren Klassen erbrachten Leistungen: Wer ein „Prüfungstyp“ ist, das heißt, sich besser verkauft als er ist, oder gerade Glück bei den zwei (von drei) Fachfragen hat, ist Sieger.

Hatte aber jemand die ganze Oberstufe hindurch brilliert, Spitzenleistungen erbracht und bei der Reifeprüfung einen „schlechten Tag“, hatte er persönliche Probleme oder gerade eine angeschlagene Gesundheit (so etwas soll ja vorkommen), bleiben seine (vielleicht jahrelangen) exzellenten Vorleistungen unberücksichtigt.

Hart und brutal. Nicht praktisch.

„Praktisch“ wäre die Angelegenheit nur, wenn die Absicht der Initiatoren der Zwei-Zeugnis-Idee eine gänzliche Umorientierung des

Abschlusses an höheren Schulen darstellt. Hat man die Aufnahmsprüfung mit so viel Geschrei abgeschafft, um nun den Universitätszugang durch eine von der Allgemeinbildenden Höheren Schule abgetrennte - und vielleicht ohne ihre Absolvierung abzulegende -Prüfung zu regeln? Das würde die Abkehr vom alten europäischen und in Österreich durch lange Zeit bewährten Prinzip des allgemeinen Hochschulzugangs auf Grund einer Reifeprüfung bedeuten.

Warum etwas ändern, was sich bewährt hat? Eine Veränderung ihrer selbst willen ist im Bereich der Bildungspolitik, die in jedem Land die Voraussetzungen für das wichtigste, nämlich das geistige Kapital schaffen soll, viel zu riskant.

Sollte aber das gesellschaftspolitische Ziel „gleiche Bildung (nicht Bildungschancen) für alle“ Ursache dieser Veränderung sein, wäre wieder einmal ein klärendes Wort des Unterrichtsministers fällig.

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