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Gleichheit und Unterdrückung

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Fre9heit,GIek:hheit3rüdedictkei lautete die Devise derRevolutio-nfire. Weg mit den absolutistiBchen Zwängen imd den Standesunterechie-den, gleiches Recht für alle. Aber wie kaDntemangIeicheRechtehaben,wena man ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbrachte?

Die EVage, die bis jetzt für erhitzte Gemüter sorgt, war in einer Zeit eklatanter Ungerechtigkeit natürUch einfacher zu beantworten als heute: Sämtliche durch die Geburt zustandegekommenen Vorrechte wurden beseitigt (mit der berühmten Ausnahme, daß Frauen weiterhin schweigen sollten), die alte Einteilung Frankreichs in Provinzen mit unterschiedlichem Status wurde noch 1780 aui^e-löst und durch die Gliederung in 83 sogenannte “Departements“ ersetzt, Verwaltungseinheiten mit einer zen-

tral gelegenen Haiq>tstadt, in Wahr-heitMaiionettenanFäden, die inParis zusammenliefen - sie bestehen im wesentlichoi bis heute.

Dieser Maßnahme, die den Handel ganz enorm begünstigte, mußte bald eine zweite folgen, die VeremheitU-chimg der Maße und Gewichte, sodaß das metrische System von 1703 an überall im Land verbindUch war.

Schon früh fiel den Revolutionären aber auf, daß es da noch viel nachhaltigere Unterschiede in der Bevölkerung gab, denen nicht so einfach bei-zukonmien war: die Sprache.

Li der Tat ergab eine in den Jahren 1700 bis 1704 durchgeführte Erhebung von Abt Gregoire, daß nur etwa ein Drittel der Franzosen des SVanzö-sischen mächtig war. Der Rest waren

Anderssprachige. Und bei der unzitgoireswirddieDunkelzifferderNicht-EVanzösischsprachigen sogar nach höher gewesen sein.

Die größte Grųpe unter dieser Mehrheit waren sicherlich die Süd-franzoeen, deren ureigentUche Sprache, heute Okzitanisch genannt, mit dem Französischen etwa so verwandt ist wie das Niederländische mit dem Deutsche Dann gab es noch die Katalonen und die Baaken an der spanischen Grenze, die Bretonen, die Elsässer, weiters noch die Flamen im Norden und die Italiener im SüdeiL Und selbst IVanzöeisch war wieder au^esplittert in zahlreiche Dialekte, derčn Verständigungsgrad schon in kleineren Entfernungen rapide abnahm.

Ln Jänner 1704 hielt Barere, der selbst als okzitarüscher Dichter bescheidenen Erfolg gehabt hatte, vor der Nationalversammlung eine Rede, in der er bemerkenswerterweise nur die rücht-romanischen Sprachen attackierte: “Der Föderalismus und der Aberglaube sprechen Bretonisch, die Emigranten und der Haß auf die Republik sprechen Deutsch, die Gegenrevolution spricht Italienisch, und der Fanatismus spricht Baskisch. Zerschlagen wir diese Instrumente der Schädigung und des Irrtumsl“

Wer hätte sich da noch getraut, eine dieser Sprachen zu verteidigen?

Li einer Republik, die sich als “einzig und unteilbar“ verstand, war kein Platz für andere Sprachen. Wenige Monate nach Barere forderte Gregoire, der übrigens als einer der wenigen GeisUichen auf die republikanische Verfassung geschworen hatte und derenPrinzipienauchspätertreubheb, kurz und bündig die totale Einsprachigkeit, die auch für die Dialekte der französischen Sprache selbst keine Ausnahme machen sollte. Nur so, meinte der Abt, wirklich alle Hindernisse auf dem Weg zur Gleichheit ausgemerzt.

Die Jakobiner gingen daran, ein staatliches Schulwesen zu entwerfen, das der Keimbüs der französischen Sprache besonderes Augermierk schenken sollte. Alphabetisierungund

RückdrängungderanderenSprachen mischen sich dabei in den Zielen der Revolutionäre: JederBürgersoUteneben der eigentlichen Gleichberechtigung das geistige Rüstzeug eiiudten, um seine Rechte auch zu nützen - elemen-tareBildung und vor allem die Kenntnis der Sprache von Paris, in der die neuen Rechte verkündet wurden.

IVeilich bUeben die Schulpläne weitgehend Theorie, denn es fehlte sowohl das nötige Geld als auch das nötige Lehrpersonal. Bis zur Revolution war die Erziehung ja in den Händen der Kirche gewesen, und wer von ihren Vertretern noch im Inland war, mußte froh sein, wenn er überlebte.

“Eine Nation, eine Sprache“, dieses inderRevolutionmeitgeprägte Schlagwort wurde bald zum Slogan. Es galt zunächst, mit den auf Französisch ausgegebenenRevolutionsparolenalle Staatsbürger zu erreichen, daim aber unter den Anhängern Einigkeit zu Bdiaffen,ZusammfT\gehflrigkeitRggfühL-gemeinsame Lieder, eine gemeinsame Sprache.

Und die Kermtiiis der französischoi Normsprache öffnete den Weg in diese BrüderUchkeit, später dann in den sozialen Aufstieg. Selbst die Korsen, seit 1768 bei Frankreich, koimten sich damals noch dafür erwärmen. Gerade weil Sprache und Revolutionswille gleichgesetzt wurden, konnten sich begeisterte und fanatisierte JugendU-che in den Provinzen dem sprachlichen Druck von Paris beugen:

Von Paris emarmte Volksschulleh-rer sorgten beinhart dafür, daß jedes nicht-französische Wort aus Schülermund sofort geahndet wurde.

Die Ideen der Revolution lagen im 19 Jahrhundert aber als Zündschnur in ganz Europa aus: Die überall ein-eetzertdenNationaUtätenbewegungen stützten sich ganz wesentlich auf das Konzept der Sprache als einheitsstif-tendes Element. Eine Sprache - eine Nation, so dachten die ItaÜener, die Deutschen, die Ungarn.«

Die französische Sprachpolitik ist aber bis heute durch die Revolution geprägt: Hie das Erbe der Revolution, magmansienunakdenAufstandder BüigerUchen oder als Kundgebung des Volkskollektivs interpretieren, da die Einsicht, daß der Pariser Kultur-und Sprachzentralismus in den Pro-

vinzen Bauern oder Proletarier benachteiligt.

Die Revolution hat aber nicht nur die französische SpracIų>ohtik kanalisiert und die Ausdehnung des fran-zösischenSprachgebiets entscheidend beeinflußt, sie hat auch die französische Sprache selbst geprägt Neue Worte entstanden zur Benennung von neuen Dingen: die “IMkolore“ und die “Guillotine“ etwa. Das Wort “Aristokrat“ für den Vertreter der “Aristokratie“ ist ebenfalls ein Produkt derRevolution. We bis heute JEast alle neuen Machthaber ten die Revolutionäre bereits, eine Art Code für “fraider“ zu schaffen, lind die Gegner festigten ihn, indem sie ihn aui^rLffen.

jQmlich wie etwa die Deutsche DemdontischeRepublik einen Begriff wie “Arbeiter“ anders definiert als der Westen, so setzten auch die Jakobiner - freiÜch in viel bescheidenerem Ausmaß - neue LahaltefestfürAusdrückewie “Staatsbürger“ und“Patriot“: beidesbezeichnete diejenigen, die sich zur Revolution und zur Republik bekamten, urkd hat diese Bedeutung im wesentlichen bis heute beibehalten. Nichtdurcherfzenkonn-te sich jedoch die Abschaf--fung des Siezens.

Hugblätter imd Zeitungen brachten die Sprache derRevolution auch in die entl&; gensten Winkel; viele dialek-taleUnterschiedeverschwan-den. Gerade durchihre sprach-

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Revolutionäre aber auch das

Sprache, das bis dato auf die Ober-schichtheschränkt war, in weite I&ei-sederBevölkerunggetragen. DieFranr-zosen sind heute das Volk, das vielleicht am eifrigstengegen iVemdwor-te auftritt

ÖatcRcidiiadien Leaem soDte nidtt unbekannt UäbeadaSdieEifandiungderfranzösiachenAfin-deriieiten (beaonden der okataniadwn) und ilirer GesdnditeimliutitutfūrRaoiamatikderlAiivern-tät Wien (besondcts durdi die Pxofesaorm Kisch undKieinniteaowieDozentinRindleF6dijerve)den wsM bedeutendstm Stützpunkt auflerhalb der be-InfiendenSpcadigebiete adbothat

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