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Gleichung mit drei Bekannten
Nach zweiseitigen Gesprächen zwischen Heath und Faulk- ner und Heath und Lynch werden nun die Ministerpräsidenten Großbritanniens, Nordirlands und der Republik Irland (Südirland) zu einem Dreiertreffen Zusammenkommen. Aber wer sich von dieser Gipfelkonferenz ein Ende des Terrors in Nordirland oder gar eine Lösung der Probleme, die zu diesem Terror geführt haben, erwartet, irrt.
Nach zweiseitigen Gesprächen zwischen Heath und Faulk- ner und Heath und Lynch werden nun die Ministerpräsidenten Großbritanniens, Nordirlands und der Republik Irland (Südirland) zu einem Dreiertreffen Zusammenkommen. Aber wer sich von dieser Gipfelkonferenz ein Ende des Terrors in Nordirland oder gar eine Lösung der Probleme, die zu diesem Terror geführt haben, erwartet, irrt.
Er unterschätzt die Unabhängigkeit der militanten IRA-Kämpfer, er überschätzt die außenpolitische Bewegungsfreiheit der drei Gesprächspartner, und den innenpolitischen Rückhalt, den die beiden irischen Premiers in ihren Ländern fänden, sollten sie sich tatsächlich zu Konzessionen bereitfinden, die geeignet wären, eine Beruhigung der Lage herbeizuführen.
Rein theoretisch könnte Brian Faulkner selbstverständlich Nordirlands katholischer Untergrundarmee durch Zugeständnisse an die Masse der nordirischen Katholiken den Boden entziehen. Zugeständnisse werden auch gemacht, aber sie gehen nicht weit genug, und sie gehen überdies so langsam vonstatten, daß es die IRA leicht hat,, eine Situation herbeizuführen, in der auch noch das Wenige, das getan wird, zu stocken droht.
Rein theoretisch könnte selbstverständlich eine Plattform gefunden werden, auf der eine parlamentarische, ja sogar Zusammenarbeit in einer Regierung, zwischen Protestanten und Katholiken möglich wäre. So könnte der unhaltbare Zustand beendet werden, daß zwar gewisse Reformen stattfinden, die den Katholiken zugutekommen, daß diese aber auf der lokalen Ebene weitgehend und auf der staatlichen Ebene total von der Mitverantwortung für Entscheidungen, die sie an- gehen, ausgeschlossen sind.
Rein theoretisch wären auch Maßnahmen zur Abschaffung der katholischen Massenarbeitslosigkeit in einem Land mit nahezu vollbeschäftigter protestantischer Mehrheit möglich. In der Praxis aber kann
Faulkner den Katholiken kaum ein wesentliches Zugeständnis mehr machen. Anderenfalls müßte er damit rechnen, daß seine Regierung entweder auseinanderbricht oder fällt. Im Hintergrund wartet Pastor Palsley, der militante Protestantenführer, auf seine Stunde. Kurz nach Ausbruch der Unruhen in Nordirland, im Frühsommer dieses Jahres, legte er dem Verfasser dieses Artikels sein Rezept dar: Wiederbewaffnung der nordirischen Polizei, Wiedereinführung der „B-Spe- cials“, einer bei den Katholiken gefürchteten, 1969 abgeschafften, schwer bewaffneten besonderen Schlägertruppe der Polizei. Die britische Anmy gehe mit Samthandschuhen vor. Härtestes Durchgreifen sei notwendig. Im übrigen sei er bereit, einem an ihn ergehenden Ruf zu folgen.
Daher kann, ungeachtet aller theoretischen Möglichkeiten, Brian Faulkner nur einen streng legitimi- stischen Standpunkt einnehmen, alle Ansprüche einer seit fünfzig Jahren in jeder Wahl unterliegenden katholischen Opposition auf Machtteil- habe, die im Interesse des Landes wäre, zurückweisen, sich jede Einmischung von außen verbitten und als Patentlösung aller Probleme immer wieder seine Forderung an den südirischen Amtskollegen wiederholen, er möge IRA-Rebellen sofort verhaften, wenn sie auf südirisches Gebiet ausweichen. Dann werde man in Nordirland schon mit ihnen fertig werden.
Jack Lynch wiederum könnte, rein theoretisch, offen sprechen, und müßte in diesem Fall zugeben, daß er an einer Beruhigung der Lage interessiert ist, daher auch an einer Bėsserstellung der Katholiken in Nordirland, daß sich seine Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung Nordirlands mit Südirland jedoch in Grenzen hält. Er müßte dann sagen, was er nicht sagen kann, nämlich, daß Nordirlands rebellisch gärender, politisch zur Progressivität neigender katholischer Bevölkerungsteil in einem wiedervereinigten Irland nur die politische Stabilität gefährden könnte. Einiges davon kam zum Vorschein, als die katholische nord- irische Lafoour-Abgeordnete Bernadette Deviin Lynch das Recht absprach, für Nordinlands Katholiken zu sprechen, und Kardinal Conway, der seinen Sitz in Nordirland hat, aber Kardinal ganz Irlands ist, gemeinsam mit den Bischöfen von Ulster (dessen Grenzen sich weitgehend, aber nicht völlig mit denen Nordirlands decken) davor warnte, Nordirlands Protestanten mit Bomben und Terror in ein vereinigtes Irland hineinzuzwingen.
Während also Faulkner die Legitimität eines Zustandes verteidigen muß, dessen moralische und praktische Unhaltbarkeit er längst erkannt hat, muß Lynch für eine Perspektive eintreten, die er eigentlich nicht will. Keiner kann das Odium eines Verrates an der jeweiligen nationalen Sache mit allen innenpolitischen Folgen auf sich nehmen.
Daher wird wohl auch nach der Dreierkonferenz Nordirland seine katholikenfreundlichen Reformen zaghaft und noch zaghafter weiterführen und gemeinsam mit der Army die militante IRA immer härter, aber erfolglos weiterbekämpfen und Südirland die IRA zwar tolerieren, aber in der Praxis wenig unterstützen.
Alles deutet darauf hin, daß eines Tages eintritt, was Faulkner (oder sein Nachfolger) verhindern und Lynch (beziehungsweise der Mann, der ihm folgt) nicht herbeiführen will, daß es zur Wiedervereinigung Irlands kommt, weil Nordirlands Unversöhnliche und Fanatiker beider Lager die Schaffung einer Basis für ein Zusammenleben unmöglich gemacht haben. Denn Nordirland ist kein Südtirol, kein Land, über dessen Schicksal sich zwei Großmächte einigen könnten, und das mit sich geschehen läßt, weil es im Grund nur den Frieden will.
Nordirland ist in inneren Gegensätzen zerrissen, und die Unbekannten in seiner Gleichung sind in Wirklichkeit Bekannte, ahzugute Bekannte: Zwei einander befehdende Lager, die Rückhalt in nahestehenden „Großmächten“ gefunden haben und so der Verpflichtung enthoben sind, den gestörten oder noch nie gefundenen Konsensus zu suchen, und die zwei Mächte, die sich in ihre Binc Jngen mit diesen Lagern so verwickelt haben, daß von ihnen wesentliche Hilfe bei dieser Suche kaum noch zu erwarten ist.
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