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„Glemp macht Politik, wir sagen die Wahrheit"

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Die Kritik am Verhalten des polnischen Primas gegenüber der Jaruzelski-Regierung wird immer lauter. Und immer stärker fordert die Basis von der Kirchenführung eine Kurskorrektur ihrer Politik.

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Die Kritik am Verhalten des polnischen Primas gegenüber der Jaruzelski-Regierung wird immer lauter. Und immer stärker fordert die Basis von der Kirchenführung eine Kurskorrektur ihrer Politik.

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Durch den Mord an Pfarrer Jer-zy Popieluszko wurde der schwelende Konflikt innerhalb der katholischen Kirche Polens offen zu Tage gefördert. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung und der zunehmend schärfer formulierten Kritik sieht sich einmal mehr das Kirchenoberhaupt, Primas Josef Glemp.

Mit Protesten gegen seine weithin unpopuläre, behutsame Vorgehensweise, die der Aussöhnung zwischen Regierung und Volk dienen soll, hatte der vor allem an der Basis offensichtlich wenig geliebte Primas schon lange leben müssen. Zudem begleitete ihn seit Amtsantritt der charismatische Uberschatten seines im Mai 1981 verstorbenen Vorgängers Stefan Wyszynski.

Gerade junge Christen verlangen nach einem eindeutigen Gegenpol zum verhaßten Regime. Sie haben Primas Glemp schon früh den Titel „Anpasser" gegeben. Jetzt, in den erregten Wochen nach dem Märtyrertod, wird er bereits sarkastischer „Genosse Glemp" tituliert.

Aber die Anziehungskraft der Kirche wird nicht durch Josef Glemp verkörpert, dem man an der Basis vorwirft, die wirklichen Bedürfnisse der Gemeinden gar nicht mehr zu kennen. Die Kirche ist der letzte Freiraum für Pluralismus und Opposition, seit dem die Solidarnosc verboten wurde. Die jungen Leute sehen sich durch Priester vertreten, die die gleiche offene Sprache sprechen — über die Kirchenführung, über General Jaruselzki, über den Kommunismus.

Eben diese Geistlichen hatte Primas Glemp bereits vor zwei Jahren als „Politikaster" und „Journalisten" beschimpft, die von der jahrtausendealten Rolle der polnische Kirche im Staat nichts verstünden. Derartige Zitate des Kardinals und seine vielen Ermahnungen an „politisch unliebsame" Priester werden ihm heute quasi als Spiegel für schuldhaftes Verhalten überall im Lande vorgehalten.

Die Aussage eines jungen Krakauer Geistlichen, der sich als entschiedener Gegner des Primas versteht, macht deutlich, welche Uberzeugung in vielen Polen gereift ist, die Politik immer nur als Unterdrückung empfunden haben, und warum die Dialogbereitschaft Glemps gegenüber dem Staat wenig Verständnis findet.

Der Priester meinte gegenüber der FURCHE: „Glemp macht Politik, wir sagen die Wahrheit."

Der Ruf nach Wahrheit, konsequent und ohne faule Kompromisse — er wurde in den letzten

Wochen als Folge des mysteriösen Mordfalls immer lauter. Er galt aber nicht der kommunistischen Partei, die ihren Kredit an Glaubwürdigkeit durch das Vertuschen von Straftaten in der Vergangenheit längst verspielt hat.

Es sollte vielmehr ein Appell an die moralische Instanz des Landes, die Kirchenführung sein, endlich den Lügen der Politiker die schonungslose Wahrheit gegenüberzustellen.

Katholische Zeitungen, die die eigenwillige Dialogbereitschaft des Regimes täglich bei der Zensurbehörde spüren, übten zusätzlichen Druck aus, indem sie deutliche Worte des verstorbenen Wyszynski und des polnischen Papstes publizierten.

Bei all dem öffentlichen Trommelfeuer gegen seine Person wurde Glemp auch das Opfer geschichtlicher Vereinfachungen und vorschneller Fehlinterpretationen. So wurde ihm etwa sein monatelanges Zögern bei den Verhandlungen über den „öffentlich-rechtlichen Status" der Kirche (der Entwurf basierte auf einem testamentarischen Wunsch Wyszynskis) vom Volk rasch als „Verrat" am Erbe des Vorgängers angeprangert. Dieser Vertrag „sollte ursprünglich die Kirche vor staatlichem Zugriff schützen. Doch besteht die jetzige kommunistische Führung auf einschränkenden „sozialistischen" Zusatzklauseln, die für einen unabhängigen Episkopat unannehmbar sind.

Die massive Kritik am Kardinal ist aber keineswegs ein Resultat einer neuen hysterischen Stimmung im Land. Auch handelt es sich nicht um.einen Generationenkonflikt zwischen aufbegehrender Jugend und besonnenen „Realisten".

Denn auch unter höheren kirchlichen Würdensträgern galt die Strategie Glemps nicht als Dogma. Zu seinem harten Durchgreifen gegenüber unbeugsamen Arbeiterpriestern schwiegen sie oft nur, um die Einheit der Kirche nicht zu gefährden. Die Diskussion über den richtigen „nationalpolitischen Auftrag" der Kirche indessen dauerte an. Vielen, die zweifelten oder sich mit zähneknirschender Disziplin in den Glempschen Gegebenheiten fügten, war der Tod des Priesters eine ausschlaggebende Entscheidungshilfe.

Vor allem im mittleren Klerus und unter katholischen Intellektuellen wird die zunehmende Distanz zum Primas spürbar. Man spricht zwar nicht vom „gottlosen Bolschewismus", was Popieluszko zum Verhängnis wurde. Stattdessen wird Kritik oft verklausuliert vorgetragen, in Metaphern oder simplen Fragen. Die Deutungen und Antworten sind für Glemp unmißverständlich.

Nach dem jüngsten Hirtenbrief des Kirchenoberhaupts, in dem er erstmals nach langer Zeit die Regierung unverblümt attackierte, stellt man sich in Polen die Frage: War das ein erstes Zeichen einer grundsätzlichen Kurskorrektur oder hält Glemp an seinem Weg fest, mit der ihm eigenen Courage?

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