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Globales Denken schafft Sicherheit

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Sicherheitspolitik ist mehr als militärische Landesverteidigung. Und sie geht auch nicht nur Militärs und Politiker etwas an. Alle Bürger sind auf diesem Gebiet herausgefordert.

In Le Monde Diplomatique, März 1987, wird die Frage, ob unser Planet überhaupt noch regulierbar sei, mit dem Satz beschlossen: „Es wird Zeit, daß sich ein politisches Genie manifestiert.“ Nein, der Autor Rene Lenoir meint nicht den „starken Mann“, sondern überragende schöpferische Geisteskraft!

Ob die Arbeitsgemeinschaft „Die Sicherheitspolitik im Spannungsfeld sich ändernder Wertvorstellungen“ beim diesjährigen Europäischen Forum Alpbach als Generator einer solchen Geisteskraft gesehen werden kann, sei dahingestellt. Wohl kann registriert werden, daß viele Teilnehmer über ihren Schatten gesprungen sind.

Den Experten des Bundesministeriums für Landesverteidigung, das in Zusammenarbeit mit dem Europa-Kolleg diese Veranstaltung organisiert hatte, gelang es, umfassend und nicht sektoral zu denken. Die anwesenden Sozialwissenschafter erfuhren, daß es sehr wohl denkende und nachdenkende Militärs gibt. Und die Militärs entdeckten, daß ihnen die moderne sozialwissenschaftliche Forschung etwas zu sagen hätte bei der Entwicklung von wirkungsvollen, zukunftsträchtigen und vor allem verantwortbaren Strategien.

Kurzum: eine umfassende Landesverteidigung kann heute nur noch als eine umfassende Sicherheitspolitik verstanden werden.

Dieser integrative Lösungsansatz ist ohne Dialog und breiteste Zusammenarbeit niemals zu verwirklichen. Unwillkürlich drängt sich die Parallele auf, daß nicht nur Streichungen ein Budget gesunden, sondern auch ein integra-tives, konzeptuelles Vorgehen.

Erst eine solche „genie politi-que“ macht eine Politik glaubwürdig, vermarktbar, und vor allem ermöglicht sie eine nationale Einsatzbereitschaft.

Die Bedrohungsbilder sind heute vielgestaltig. Insbesondere ihre Verzahnung dürfte die Bedrohung schlechthin sein. In Alpbach wurde deutlich, daß eine Fixierung auf einzelne Bedrohungsbilder zu einer Art „Bedrohungshysterie“ führt, in deren Folge Aktionen der Irrationalität schöpferische Geisteskräfte ersticken können.

In dem Versuch, Symptome und Trends zu unterscheiden, gelang es dem Soziologen Peter Gleichmann aus Hannover, die Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft mit dem zivilisatorischen Prozeßdenken eines Norbert Elias zu konfrontieren.

Der Weg in eine offene Gesellschaftsordnung ist mühsam und wird durch politische, wirtschaftliche und soziale Entgleisungen begleitet, die uns eigentlich weniger entmutigen als ermutigen sollten, denn wenigstens ist etwas in Gang.

Es ist leicht, in einem Landesverteidigungsplan die Erhaltung der pluralistisch-demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung als „Grundwert“ festzuschreiben; dessen Aktualisierung verlangt aber bewegliche Bürger und vor allem Couragiertheit, verkrustete Strukturen zu beseitigen.

Da die Leitung der Arbeitsgemeinschaft gemeinsam mit dem erfahrenen Strategen und Sicherheitspolitiker General Wilhelm Kuntner erfolgte, sowie auch die anwesenden Militärs ihre legitime Verantwortung für die Durchführbarkeit der ihnen obliegenden Aufgaben keineswegs verschwiegen, war die Gewähr gegeben, daß nicht nur wissenschaftlich, sondern auch praxisorientiert diskutiert wurde.

Es war gut, daß mit dem sich so ausgezeichnet in einer Mischung von Selbstsicherheit und relativierendem Humor präsentierenden sowjetischen Diplomaten Pavel Ljadow über die Lage der Sowjetunion, sowie mit dem hanseatisch wirkenden und in all seinen Fasern durch eine offene demokratische Gesinnung geprägten westdeutschen Kapitän zur See Ulrich Hundt über die Nato diskutiert werden konnte.

An beiden Positionen wurden jene sicherheitspolitischen Chancen ersichtlich, die der ebenfalls in dieser Arbeitsgemeinschaft teilnehmende Brigadier Heinz Danzmayr das Gebiet der sicherheitspolitischen Hoffnungen benannt hat, also der Bereich zwischen Gewalt und Gewaltverzicht.

In diesem Gebiet kann nur mit kleinen Schritten vorangegangen werden, deren Qualität allerdings davon abhängig ist, ob von beiden „Lagern“ das eingangs genannte „genie technicien“ und das „genie politique“ mobilisiert werden kann.

Und wiederum stellt sich die Frage, ob unser Land ein solches Ergebnis eines gemeinsamen Vertrauen erweckenden Denkens, die politische Bildung schlechthin, zu verwerten weiß.

Die Gefahrenmomente, die das Leben auf unserem Planeten „Erde“ bestimmen, sind bekannt. Die Notwendigkeit, auf Grundlage dieser Faktoren global zu denken, könnte aber zu der von Hermann Kahn genannten „Global-Blöd-heit“ entarten, wenn es uns nicht gelingt, eine umfassende, integrative Sicherheitspolitik global zu orientieren und regional zu exekutieren.

Um dies zu bewirken, sollten wir weniger das Umdenken in Konferenzen nflegen und etwas mehr im Arbeitsalltag, denn dort veröden die für heute und morgen wichtigsten Ressourcen, nämlich menschliches Können, menschliche Tatkraft und menschliche Hoffnung.

Der Autor ist Professor für Unterrichtswissenschaften und Hochschuldidaktik an der Universität Klagenfurt

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