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Glück, das Böhm beschert

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Dr. Karl Böhm war der Regent der letzten zwei Opernpremieren der Salzburger Festspiele. Zweimal bescherte er Mozart-Abende von unvergleichlicher Schönheit, zweimal ließ er all die Probleme der Inszenierungen fast vergessen, weil seine Intensität und Spannkraft Sängerensemble und Philharmoniker zu optimalen Leistungen mitriß. Wobei Günther Rennerts „Cosi fan tutte“-Inszenierung geschmacklich eine sehr runde Produktion mit vielen kleinen Fehlern ist, „Idomeneo“ hingegen, von Gustav Rudolf Seilner inszeniert, eine Entgleisung.

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Dr. Karl Böhm war der Regent der letzten zwei Opernpremieren der Salzburger Festspiele. Zweimal bescherte er Mozart-Abende von unvergleichlicher Schönheit, zweimal ließ er all die Probleme der Inszenierungen fast vergessen, weil seine Intensität und Spannkraft Sängerensemble und Philharmoniker zu optimalen Leistungen mitriß. Wobei Günther Rennerts „Cosi fan tutte“-Inszenierung geschmacklich eine sehr runde Produktion mit vielen kleinen Fehlern ist, „Idomeneo“ hingegen, von Gustav Rudolf Seilner inszeniert, eine Entgleisung.

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„Cosi“, dieses frivol-prickelnde Gesellschaftsspiel, die Komödie des Partnertauschs, ist wohl Mozarts persönlichstes Bekenntnis... Erfahrungen eines „Wissenden“ in Sachen Flatterhaftigkeit der Gefühle und Sehnsüchte. Nicht von ungefähr hat man diese zwielichtig schillernde Meisteroper, mit der Mozart alle Platitüden der alten Verkleidungskomödie endgültig zertrümmerte, im vorigen Jahrhundert sogar noch als unmoralisch, als obszön empfunden und mit gräßlichen Entstellungen des Librettos aufgeführt. Erst Künstlern wie Bruno Walter oder eben Dr. Karl Böhm ist es gelungen, hinter dieser witzigen Maskerade zweier Offiziere Tiefe hervorzukehren.

Seit fünf Jahren polieren nun Dr. Böhm und Regisseur Günther Rennen an dieser Produktion im Kleinen Festspielhaus. Vor allem Altmeister Rennert läßt Sich immer wieder neue Pointen für die Liebesspielereien einfallen. Seine Palette der tausend kleinen Gefühle und großen Liebesschwüre, der Koketterie und Leidensseufzer scheint unerschöpflich. Mit unglaublicher Lust streut er Details ins Spiel der zwei Liebespaare, der frechen Zofe Despina und des philosophierenden Drahtziehers der ganzen Komödie, Don Alfonso. Und auch Jto Maximownas Bühnenbilder und Kostüme zeigen steigende Freude am Absurden. Was im ganzen fast schon ein Zuviel an gewollter Originalität bedeutet, ein ständiges Quirlen, Betriebsamkeit mit Spiegeln, Schubkarren, schwarzen Rosen, hüpfenden Vögeln, Hollywoodschaukel, Blumenpflücken... Fast jede musikalische Phrase ist da inszeniert, überinszeniert.

Das erlesene Ereignis beschert allerdings die Besetzung. Ein Super-quartett der Liebenden: Gundula Ja-nountz, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier und Hermann Prey. Kostbare Stimmen, feinst modellierte Regungen. Reri Grist ist eine Idealzofe Despina: Jeder Kantilenenbogen sitzt perfekt, ist empfunden, geht in leichtes Spiel über. Rolando Panerai ist jeder Zoll ein Philosoph und Lebenskünstler.

Kein rechtes Glück hatten die Festspiele mit „Idomeneo“, der 1973 Premiere hatte, aber heuer völlig neu inszeniert wurde. Dabei ist allerdings wieder nicht mehr als ein Ansatz zu einem Spielmodell herausgekommen. Obwohl Sellner und Ausstatter Jörg Zimmermann alles erneuert haben... Die Fassung: eine nicht überall geglückte Mischung aus der Münchner Version von 1781 und der Wiener von 1786, wobei eine Tenorarie eingeschoben wird, wichtige Details (Koloraturen aus Idome-neos Arie, Ballette, die große Elek-tra-Arie „D'Oreste, d'Aiace“) sinnlos gestrichen wurden ... Die Ausstattung: Dominierten früher gedämpftes Schwarzsilber in den Architekturdetails, so springt einen jetzt alles in Kupfer an. Einen Obeliskenwald hat man weggeworfen, einen Garten aus Kupferbäumen dafür hingestellt, ein Tempeltor gebastelt; dazu häßliche Projektionen ... Versatzstücke aus einem Ramschladen. Stilbrüchiger geht es nicht.

Und auch das Konzept wurde erneuert: 1973 war's noch statisches Theater. Jetzt pumpt Sellner in die Figuren Leben. Aber zum entscheidenden Schritt, zu einem Opera-Se-ria-Spiel der Affekte, hat er sich nicht vorgewagt: die Zwangslage Idomeneos, seinen Sohn Idamantes opfern zu müssen, die Gespanntheit Idamantes' zwischen politischer Pflicht dem Vater und der Emigrantenprinzessin Elektra gegenüber, seine Neigungen zur Gefangenen Trojanerprinzessin Illia, die versengende Liebe Elektras ... Das alles bleibt leeres Opernklischee, langweilig, phantasielos. Psychologische Motivierung fehlt. Und selbst in hochdramatischen Momenten schafft Sellner keine Steigerung: Neptuns Seeungeheuer ist ein Projektionsscherz, der zum Lachen reizt. Aschenregen und Pest fallen zwar über Kreta her, Menschen auf der Flucht, drohende Priester, die ein Menschenopfer fordern ... Aber für Sellner ist das nicht mehr als oberflächliches Arrangement.

Ein Glück ist die Besetzung mit Peter Schreier (Idamanthes) und Helen Donaith (Ilia), bei denen der Mozart-Stil hinreißend realisiert wird. Wieslav Ochmann ist als Idomeneo unterbesetzt. Julia Varady fehlt die strahlende Stimmkraft, ohne die Elektra nicht imponieren kann.

Neun Orchesterkonzerte, Liederabende von Luciano Pavarotti, Dietrich Fischer-Dieskau und Gundula Janowitz, Solistenkonzerte mit Gi-don Kremer und Emil Gilels bescherten die Salzburger Festspiele bisher. Recht konservativ die Programme der Orchesterkonzerte, weit entfernt vom Sensationellen die

Qualität, speziell der Dresdner Staatskapelle unter Blomstedt, Rosh-destwensky und Seiji Ozawa. Von ihrer großen Tradition — das Orchester wurde vor 427 Jahren gegründet —, in der Namen wie Weber, Wagner und Richard Strauss eine entscheidende Rolle spielten, ist nicht mehr sehr viel zu merken. Edel geschliffene Brillanz, eine spezifische Klangkultur sind nur noch in Ansätzen vorhanden: Das Blech wirkt vulgär, das Streichercorps nicht wirklich kultiviert. Erfreulich vor allem Zubin Mehtas Konzert mit den Wiener Philharmonikern und Andre Watts, der Brahms' 2. Klavierkonzert spielte: ungemein eigenwillig, versponnen, in herbstlich getönter Weichzeichnung. Eindrucksvoll Theo Adams Interpretation der „Jedermann“-Monologe von Frank Martin (mit den Dresdnern).

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