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Glücksritter

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Gut ist es gegangen, nichts ist geschehen — so könnte man den in den letzten Tagen oft gehörten Spruch ins Hochdeutsche übersetzen. Ich aber will der Dialektwelle treu bleiben, denn mir „wienert“ es allerorts zu wenig.

Im Kino, im Fernsehen, auf den österreichischen Bühnen, am Naschmarkt, wo man noch immer Tomaten und Kartoffeln angebo-

ten bekommt, im Kaffeehaus, wo die Sahne statt dem Schlagobers den Kaffee begupft.

Die Sprache unserer Politiker wird wohl der letzte Folklorerest sein, den wir in 20 Jahren noch werden beobachten können. Und gerade dort könnten wir auf allzu viel „in der Wolle Gefärbtes“ verzichten.

Wer in seinem Bücherregal ein wenig Vergangenheit sprachlicher Natur aufbewahren will, der erwerbe Peter Wehles „Singen Sie wienerisch“ - es zahlt sich aus! Zahlt sich so aus wie andächtig dem 75jährigen Marcel Prawy zu lauschen, der mit seinem Fanatismus, mit seiner Opernnarretei mehr zum Verständnis der Kunstgattung Oper beigetragen hat als alle Klugscheißer, Präsentierer und „Fachleute“ zusammen.

Daß Marcello, wie ihn seine Freunde nennen, dabei nicht reich geworden ist, ist kein, wenn aber eines, dann sein Pech. Hingabe ist ihm immer mehr gewesen als Hin-Nahme, obwohl auch er wissen wird, daß Nehmen angenehmer ist als Geben. Auf dieser Tatsache werden unsere Landsleute in Zukunft ihr Leben aufbauen, sich danach einrichten.

Die dumme Vorstellung, daß

man nur durch Arbeiten reich werden kann, ist längst in die Versenkung des Kanals der Vergessenheit gerutscht. Ein neues Lottospiel kürt per Zufall und Fortune wöchentlich zwei bis sechs Millionäre. Ein Massenblatt, eine Bank, ein Wasweißichwas setzt „Preise“ aus, deren Gewinn einen ruhigen Lebensabend garantieren, auch wenn man erst 30 ist.

Dabei sind Fragen von unerhörter Schwierigkeit zu beantworten. Etwa in dem Stil: „Wie heißt der Dom, der auf dem zentralsten Platz der Bundeshauptstadt steht und nach dem Heiligen Stefan benannt ist?“ Ganze Rudel von Wirtshausstrategen, Biertischpo-litisierern und Sparvereinsmit-gliedern beraten stundenlang und taumeln nach erfolgreichem Abschluß der Forschungen selig auf die nächtlichen Straßen und dem Millionärsdasein entgegen.

Willst Schi fahren gehen? Eine Illustrierte stiftet eine kostenlose Schi-Tageskarte. — Kauf ein in Großenzersdorf! Wenn Du Glück hast—und Du bist doch so ein Pilz-ling des Glücks —, gewinnst Du 14 Tage Gratisurlaub dazu. — Bist Du reiselustig, heirate einen (eine!) Angestellte(n) der Wiener Flughafenverwaltung, und schon fliegst um nur 360 Schilling auf die Seychellen.

Toto, Lotto, Kasino, Spielen, Gewinnen — das ist die Philosophie des Jahres 1987! Net bleed sein und arbeiten, verlaß Dich aufs Glück! Denn wie sagt schon

unser Moliere, der große Johann Nepomuk Nestroy, im „Lumpazi“: „Wenn's Glück will, braucht ma ka Los!“

Nur ein wenig Humor werden wir brauchen, um auch 1987 zu überstehen. Humor und einen guten Magen. Mit Witzlein wie diesem: „Warum kriechen die... (vom Leser nach Belieben einzufügen) immer durchs Fenster aus ihrer Wohnung? — Weil schon wieder ein Feiertag vor der Tür steht“, werden wir allerdings nicht weit kommen.

Der Humor, dessen wir bedürfen, soll auch nicht gallig oder ätzend sein. Es muß eine Mischung sein aus Erwin Steinhauerischer Aggressivität, Werner Schney-ders Schärfe, Franz Morakscher Direktheit und Andre Hellerscher Ironie. Eine Mischung ä l'Autriche eben, mit der sich das Leben meistern läßt, trotz aller Un- und Tschernobyllen.

Wie weit wir es meistern, das Leben, wieviel Erfolg wir haben werden, das hängt schon zum großen Teil von uns ab. Ob wir es verstehen werden, bei aller Weltoffenheit unsere (nationale und damit internationale) Eigenheit zu bewahren.

Ob wir es endlich begreifen, daß wir miteinander und nicht gegeneinander - als Landsleute, Österreicher ... Oh ja, das wird sehr von uns abhängen. Dazu gehören Kraft, Mut und guter Wille. Diese allerdings sind im Lotto nicht zu gewinnen.

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