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„Goldene Pforte“ vor T orschluß?

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Werden die Vereinigten Staaten von einer Einwandererlawine überrollt? Wollen oder können sie nicht handeln, um das Einströmen hunderttausender illegaler Einwanderer zu verhindern oder zumindest zu drosseln?

Seit dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts - damals wanderten 8,8 Millionen Menschen in die Vereinigten Staaten ein - war der Zustrom noch nie so groß wie jetzt. In den beiden letzten Jahren wurden 526.000 beziehungsweise über 800.000 Ausländer zur Einwanderung in die USA zugelassen. Dazu kommen die illegalen Immigranten, deren Zahl auf eine halbe Million bis eine Million pro Jahr geschätzt wird.

Wenn dieser Trend unvermindert anhält, würde der Einwanderer-Strom in diesem Jahrzehnt zehn bis 15 Millionen Menschen erreichen, während es in den Siebzigerjahren „nur“ 4,4 Millionen waren. Die USA nehmen heute doppelt so viele Menschen auf wie alle übrigen Länder der Welt zusammengenommen. Mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerungs-Zunahme entfällt auf den Zustrom vom Ausland.

Während zu Beginn dieses Jahrhunderts 92 Prozent der Einwanderer aus Europa stammten und sich der Rest etwa je zur Hälfte auf Asiaten und Latein-Amerikaner verteilte, war in den siebziger Jahren nicht einmal mehr jeder fünfte Ankömmling Europäer. Die Asiaten und Latein-Amerikaner stellen jetzt mit Abstand die größten Einwanderungs-Kontingente und ihr Anteil befindet sich weiterhin im Steigen.

Seit vielen Generationen sind die USA das Land, an dessen bedeutendster Pforte, nämlich im Hafen von New York, die Freiheitsstatue „dje gehetzten und geplagten Massen, die sich danach sehnen, wieder frei zu atmen“ begrüßt. Aber wie lange wird sich Ame rika diese Freizügigkeit noch leisten können? Wie lange wird es das „Rettungsboot der Welt“ bleiben können?

Diese Massen, die immer mehr Amerikanern die Arbeitsplätze wegnehmen . und das reibungslose Funktionieren der großen Städte auf eine Zerreißprobe stellen, stoßen bei der Bevölkerung auf immer größere Ablehnung.

„Wenn der jetzige Trend anhält, werden zum derzeitigen Stand der Bevölkerung von 229 Millionen bis zum Jahre 2000 mindestens 35 Millionen Einwanderer hinzukommen“, glaubt Senator Walter Huddleston vom Bundesstaat Kentucky. Und er fügt hinzu: „Diese Menschen werden Land, Wasser, Energie und Nahrung brauchen. Ihre Bedürfnisse werden nur auf Kosten unserer eigenen Bevölkerung gedeckt werden können.“

Im Jahre 1978 hat der Kongreß eine aus 16 Mitgliedern bestehende Einwan- derungs- und Flüchtlings-Kommission geschaffen, in welcher der Präsident der berühmten katholischen Notre-Dame- Universität, Theodore Hesburgh, den Vorsitz innehat.

Diese Kommission steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Nicht nur weil die Einwanderungs-Gesetzgebung hoffnungslos veraltet ist und von Grund auf neu konzipiert werden muß, sondern auch weil vorerst noch gar keine einheitliche Auffassung darüber besteht, welche Einwanderungspolitik die USA in Zukunft überhaupt betreiben sollen.

Im März dieses Jahres legte die Hes- burgh-Kommission ihren ersten Bericht vor. Die wichtigste darin enthaltene Empfehlung ist die drastische Hinaufsetzung der legal zur Einwanderung zugelassenen Personen, um so die illegale Einwanderung zu reduzieren.

Außer der Hesburgh-Kommission gibt es übrigens eine ganze Reihe von

Vereinigungen und Organisationen, die sich mit dem Einwanderungsproblem beschäftigen. Da gibt es die „Midwest Coalition in defense of immigration“, die sich für eine ungehinderte Einwanderung ausspricht, mit der Begründung, daß das Land seinerzeit von Einwanderern gegründet wurde.

Die „Federation for American Immigration Reform“ redet hingegen einer restriktiven Einwanderungspolitik das Wort. Vor allem gibt es aber auch einen von Präsident Reagan im Frühjahr dieses Jahres eingesetzten Untersuchungs-Ausschuß, dem sieben Kabinettsmitglieder angehören und der unter der Leitung von General-Staatsanwalt William French Smith steht. Dieser Ausschuß hat dem Präsidenten soeben seine Empfehlungen unterbreitet, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen:

Gewährung einer Amnestie an über eine Million illegaler Einwanderer, so- ferne diese nachweisen können, daß sie sich seit 1979 in den USA aufhalten; Erteilung der dauernden Aufenthaltserlaubnis an 170.000 Kubaner und Haitier, mit der Maßgabe, daß diese vor dem 10. Oktober 1980 einwanderten; Schaffung eines jährlichen Gastarbeiter-Kontingentes für 50.000, eventuell sogar für 100.000 mexikanische Saisonarbeiter.

Gerade dieser letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung, da das illegale Einströmen hunderttausender Mexikaner über die Südgrenze der USA ein besonders heikles Problem darstellt. Beinahe zwei Drittel aller illegalen Einwanderer kommen aus Mexiko.

Täglich überschreiten Hunderte, an manchen Tagen über tausend Arbeitssuchende die über 3200 Kilometer lange Grenze. Sie finden entweder selbst ihren Weg oder bezahlen bis zu 2000 Dollar dafür, von einem Ortskundigen eingeschleust zu werden.

Von der Grenzpolizei wird besten falls jeder zweite gefaßt. Aufgrund der bestehenden Gesetzeslage kann der Gefaßte seine Deportierung monatelang hinauszögern. Und nachdem er deportiert wurde, kann ihn niemand daran hindern, abermals die Grenze zu überschreiten.

Zum Unterschied von allen anderen Einwanderern streben die allermeisten Mexikaner, die über die Grenze kommen, nicht dauernden Aufenthalt in den USA an, sondern sie verdingen sich für einige Monate, meistens für eine Saison, und kehren dann zu ihren Familien zurück.

40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Mexikos sind entweder arbeitslos oder auf Kurzarbeit. Die Regierung in Mexiko City hat daher an einer günstigen Regelung des Grenzgänger-Problems ein sehr großes Interesse. Sie steht übrigens auf dem Standpunkt, daß die Schaffung eines Gastarbeiter- Kontingentes bzw. die Erteilung temporaler Arbeitsbewilligungen ungenügend seien, solange nicht gleichzeitig auch eine befriedigende Lösung bezüglich der Löhne und der Arbeitsbedingungen erfolgt.

Im Hinblick darauf, daß die Vereinigten Staaten beinahe acht Millionen Arbeitslose haben, daß sie sich mit einem sehr geringen realen Wirtschaftswachstum abfinden müssen und in Anbetracht der sinkenden Realeinkommen überrascht es wohl kaum jemanden, wenn sich in einer kürzlich durchgeführten Meinungsumfrage achtzig Prozent der Befragten für eine Reduzierung der Einwanderungsquoten ausgesprochen haben und 76 Prozent für ein Verbot der Beschäftigung illegaler Einwanderer eintreten.

Dieser Umschwung der öffentlichen Meinung, aber auch andere Anzeichen deuten darauf hin, daß die „Goldene Pforte“ nicht mehr lange so weit offen stehen wird wie bisher.

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