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Good news...

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Das neutrale Österreich erhält einen neuen Außenminister. Das mag Anlaß zu mehreren Überlegungen sein. Es ist auffallend und wird doch als selbstverständlich betrachtet, daß die Weltöffentlichkeit derzeit. wenig Notiz von den neutralen Staaten nimmt. In den Informationen und Kommentaren der Massenmedien stehen überall diejenigen Staaten an der Spitze, die in Konflikte verwickelt oder von einer schweren Krise heimgesucht sind. Also beispielsweise Vietnam, Israel, Griechenland oder Chile.

Die Informationspolitik huldigt dem etwas willkürlichen Prinzip, daß nur politische oder bewaffnete Konflikte, Mißstände oder Katastrophen, Skandale oder Verbrechen interessant seien. Die angelsächsische Presse sagt: „No news, good news“, was dem Deutschen „Keine Nachricht, gute Nachricht“ entspricht. Von neutralen Staaten gibt es nur ab und zu Nachricht; normale Zustände geraten nicht in das Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit. Da neutrale Staaten in der Regel weder innen- noch außenpolitisch Aufsehen erregen, ist ihr pressepolitischer Stellenwert gering — was bei der Lektüre ausländischer Zeitungen ins Auge fällt oder, richtiger, nicht fällt. Von da zur Annahme, für die Weltöffentlichkeit sei die Politik oder gar die nationale Existenz neutraler Staaten bedeutungslos, ist ein kleiner Schritt.

Die Frage, ob das Dasein, das Tun und Lassen neutraler Staaten in den Augen anderer Völker von Bedeutung sei und eine Berechtigung habe, ist letzten Endes eine Gewissensfrage an die Neutralen selbst. Was haben sie der Welt zu sagen, was bieten sie ihr an, was tragen

sie zu ihrer Entwicklung, zu ihrer Sicherheit, ihrem Fortschritt, ihrem Frieden bei?

Dennoch besteht ein grundsätzlicher und politisch ins Gewicht fallender Unterschied zwischen Staaten, die einem Bündnisblock oder einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft angehören, und solchen, die es ablehnen, derartige bindende Verpflichtungen einzugehen. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, daß ihr Egoismus größer ist als derjenige von Staaten, die auf Grund von vertraglichen Bindungen einen Teil ihrer Souveränität zugunsten eines Gesamtinteresses eingeschränkt haben. Neutralität, Blockfreiheit, Nicht-verpflichung und Neutralismus sind zwar politisch und völkerrechtlich verschiedene Dinge; aber allen ist der Wille gemein, in ihrer staatlichen Unabhängigkeit das Heil zu suchen, alles zu tun, um nicht in Konflikte und Kriege verwickelt zu werden, eine Politik der Verträglichkeit und der normalen Beziehungen nach allen Seiten zu machen und nicht Partei zu ergreifen. Im internationalen Spannungsfeld trachten sie, das Gleichgewicht zu bewahren.

Wenn man die drei oder vier euro-

päischen Staaten betrachtet, die sich ausdrücklich zur Neutralität bekennen, kann man unschwer Ähnlichkeiten und Unterschiede ihrer Politik erkennen. Streng genommen gibt es völkerrechtlich eine Neutralität nur im Kriege; was im Frieden Neutralitäts-Politik ist, ist' eine Frage der politischen Opportunität, das heißt, eine Interpretations- und Ermessensfrage. Nicht jeder kann diese gleich beantworten, indem die geographische Lage, wirtschaftliche Interessen, auch innenpolitische Verhältnisse die europäischen Neutralen voneinander unterscheiden. Österreich, Schweden und die Schweiz haben allerdings in einer sehr wichtigen Frage gleichgezogen: Sie halten einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft für unvereinbar mit ihrer Neutralität, da diese Gemeinschaft politische Ziele verfolgt.

Anders verhält es sich mit der Vereinbarkeit der Neutralität mit der“ Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen. Während Österreich und Schweden ihre Zugehörigkeit zur UNO für vereinbar mit ihrer Neutralität, ja geradezu für eine willkommene Gelegenheit halten, eine aktive für die Völkergemeinschaft nützliche Neutralitätspolitik machen zu können, überwogen bis heute in der Schweiz die Bedenken gegen einen Beitritt zur Weltorganisation. In den letzten dreißig Jahren haben schwedische Persönlichkeiten, in den letzten zwanzig Jahren Österreicher, auch freiwillige Truppenkontingente für friedenssichernde Aktionen der UNO, im Rahmen dieser weltumspannenden Organisation einen bedeutenden Beitrag zum Weltfrieden geleistet. Die Schweiz glaubte, ihre Politik der guten Dienste besser außerhalb der Vereinten Nationen machen zu können; es müßte, zur Klärung dieser Frage, eine vergleichende Studie unternommen werden, um entscheiden zu können, ob die schwedische und österreichische, oder die schweizerische Theorie und Praxis der guten Dienste im Interesse des Friedens mehr und bessere Früchte getragen hat.

Aber auch in ihrem nationalen Verhalten unterscheiden sich diese drei Neutralen. Schweden ist ein Puffer zwischen der NATO und Finnland, dessen Unabhängigkeit in Frage gestellt sein könnte, wenn sich Schweden zu stark im Westen engagieren würde. Die innenpolitische und ideologische Orientierung Schwedens erleichtert dieses Distanzhalten namentlich gegenüber Amerika.

Österreich, das an drei kommunistische und an vier kapitalistische Staaten grenzt, übt mit seiner Neutralitätspolitik eine wichtige europäische Funktion aus. Es bildet die Brücke zwischen West und Ost, zwischen zwei Welten. Wenn Österreich einstürzen würde, würde die europäische Ordnung einstürzen.

Die Lage der Schweiz, die ganz in die westliche Welt eingebettet liegt, ist scheinbar einfacher. Sie war gewöhnt, ihre Neutralität in den Konflikten zwischen dem Reich und Frankreich aufrecht zu erhalten. Aber sie hat einige Mühe, sie auch zwischen den Blöcken und in der seit 1945 grundlegend veränderten Weltlage nicht nur zu praktizieren, sondern in ihrer öffentlichen Meinung zum Ausdruck zu bringen. Für alle gilt, daß Neutralität heute im Rahmen der Weltpolitik zu verstehen ist.

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